: Im Club der Industrieländer
Als erstes exsozialistisches Land darf Tschechien Mitglied der OECD werden. Den politischen Preis dafür zahlt die Regierung in Prag gern ■ Von Dietmar Bartz
Paris/Prag (taz) – Schon ein paar Wochen lang ist der jüngste Erfolg der Reformpolitiker in Tschechien von den Kurszetteln der Banken abzulesen. Denn seither ist die tschechische Krone unter den Währungen der westlichen Industrieländer aufgelistet: voll konvertier- und handelbar, mit einem Preis, der sich am Markt bildet. Damit ist die Krone zwar auch allen Risiken ausgesetzt, die Weltkonjunktur und Spekulation heutzutage bieten – aber dazu ist die selbstbewußte Regierung in Prag gerne bereit.
Die Konvertierbarkeit der Krone gehörte zu den wichtigsten unter den vielen Bedingungen, die Tschechien erfüllen mußte, um Mitglied der OECD zu werden. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit ihrem Sitz in Paris ist ein exklusiver Weltclub der Industrieländer, in dem die 25 Mitgliedstaaten die Ziele ihrer Wirtschaftspolitik diskutieren. Nun soll Tschechien Nummer 26 werden.
Wenn heute der Beitrittsvertrag unterschrieben wird, muß noch das Parlament in Prag zustimmen. Seit 1991 hat ein von der OECD speziell für Tschechien entwickeltes Anpassungsprogramm die Mitgliedschaft vorbereitet. Deren Wert veranschlagt das Außenministerium so hoch, daß es auf eine Verabschiedung noch in diesem Jahr drängt: „1995“ sehe schlichtweg besser aus als „1996“.
Der Akt ist für beide Seiten symbolisch. Die tschechischen Reformer sind stolz, daß ihre Republik nun ganz offiziell und als erste aus dem einstigen Ostblock ihren Vorweltkriegsstatus als marktwirtschaftliches Industrieland zurückgewonnen hat. Für die OECD, der von Kritikern immer wieder ihre Exklusivität vorgeworfen wird, ist die tschechische Mitgliedschaft ein Symbol ihrer Öffnung. Dem Kreis gehörten bisher nur die 15 EU- Länder und aus Europa noch die Schweiz, Norwegen, Island und die Türkei an, ferner die drei Nafta- Länder USA, Kanada und Mexiko und aus dem Pazifik-Raum nur Japan, Australien und Neuseeland.
Bevor Mexiko Anfang 1994 der OECD beitrat, hatte die Organisation fast zwanzig Jahre lang überhaupt niemanden aufgenommen – trotz des Booms im fernöstlichen Asien und trotz des Wohlstandes in vielen Ölförderländern. Und Mexiko, eigentlich ein Drittweltland, wurde auch nur auf Drängen der USA Mitglied, weil Washington die ganze Nafta-Freihandelszone in der OECD repräsentiert sehen wollte.
Doppeltes Glück für die Prager Unterhändler: Zum einen hing dadurch die makroökonomische Latte ziemlich niedrig. Zum anderen geriet die Tschechische Republik, was ihre Wirtschaftskraft angeht, zum Seiteneinsteiger der Hitliste des Wohlstandes. Am Pro- Kopf-Einkommen in Dollar gemessen, schlägt sie das Schlußlicht Mexiko allemal. An der aussagekräftigeren Kaufkraft-Parität gemessen, läßt die Tschechische Republik sogar das EU-Armenhaus Griechenland und möglicherweise sogar Portugal und Irland hinter sich – wichtiges Argument in der Debatte um den Beitritt zur Europäischen Union.
Die Verhandlungen über die Aufnahme in die der OECD beigeordnete Internationale Energie- Agentur (IEA) werden allerdings getrennt geführt. Zuletzt brachte sich die IEA Anfang 1991 in Erinnerung, als die Agentur wegen möglicher Turbulenzen im zu erwartenden Golfkrieg ein Notstandsprogramm zur Ölversorgung beschloß.
Aber auch als Propagandist der Atomkraft, um die Abhängigkeit der „westlichen“ Industrieländer vom Öl zu verringern, ist die IEA tätig. Damit rennt sie bei der Regierung in Prag offene Türen ein, die nicht nur im eigenen Land auf den Ausbau der Atomkraft setzt, sondern auch beim Bau eines Akw in der benachbarten Slowakei mitmacht. Wobei pikanterweise die Prager Regierung sich rüde über die großen Sicherheitsbedenken aus dem Westen hinwegsetzte. Kein Wunder, daß der tschechische Beitritt zur IEA sich noch etwas hinzieht.
Zur Entwicklung eigenständiger ökonomischer Ansätze ist die OECD kaum in der Lage; sie spiegelt eher wider, was gerade vom Hauptstrom der internationalen Wirtschaftspolitik vertreten wird. Seit den frühen achtziger Jahren ist dies die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik à la Reagan und Thatcher: Seither gelten das Aufbrechen von Verkrustungen in den verschiedenen Märkten und der rabiate Abbau staatlicher Hilfen und Reglementierungen als bestes Mittel, um die Flexibilität einer Volkswirtschaft – und ihrer Teilnehmer – zu erhöhen. Das ist den zur Schocktherapie entschlossenen tschechischen Reformern gerade recht. Premierminister Vaclav Klaus bezeichnet sich selbst als Verehrer seiner früheren britischen Amtskollegin Maggie Thatcher.
Bei derzeit 2,9 Prozent Arbeitslosigkeit kann sich Klaus das auch leisten. Dabei mogelt er ein bißchen, denn diese Traumquote ist durch eine ganz und gar nicht angebotsorientierte Methode zustande gekommen: Die Lohnzuwächse werden in Tschechien staatlich so stark begrenzt, daß Rationalisierungs-Investitionen zur Senkung der Lohnkosten sich kaum lohnen. Solange aber die Löhne niedrig bleiben und eine Facharbeitskraft für 400 Mark pro Monat zu haben ist, hält auch der Zustrom ausländischen Kapitals an – fast unglaubliche 350 Dollar pro tschechischem Kopf investierten Ausländer allein in der ersten Hälfte dieses Jahres.
So lobt die OECD in einem Papier zum tschechischen Beitritt, daß das Wirtschaftswachstum bei 2,6 Prozent liegt, der Haushalt seit 1993 Überschüsse ausweist und die Inflationsrate mit acht Prozent jährlich erträglich ist. Der Außenwert der Krone ist stabil und „glaubwürdig“ an eine Korbwährung mit Dollar und D-Mark gebunden, die Exporte sind schon für 40 Prozent des tschechischen Bruttosozialproduktes gut. Und die gehen bereits jetzt zu mehr als der Hälfte in die OECD-Länder.
Das nächste Ziel heißt Europäische Union. Bei den Verhandlungen über den Beitritt zur OECD hat Tschechien seine Nachbarländer Polen, Ungarn und erst recht die Slowakei bereits deutlich abgehängt. Auch beim EU-Beitritt bräuchte Tschechien nicht unbedingt auf die anderen drei zu warten. Anders als seine Nachbarn würde das Land die wirtschaftlichen Voraussetzungen bis zur Jahrtausendwende allemal erfüllen. Und man kennt sich ja jetzt von der OECD.
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