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Morgen wählen Ägypter und Ägypterinnen ein neues Parlament. Die Regierungspartei wird wie bei jeder bisherigen Wahl gewinnen, dafür ist gesorgt. Doch anders als beim letzten Mal kandidieren jetzt auch die fundamentalistischen Muslimbrüder. Bleibt die Frage: Wie stark wird die Regierung den Wählerwillen regulieren? Aus Kairo Karim El-Gawhary

Mubarak fürchtet die Muslimbrüder

„Wählen gehen?“ Gamal lacht. Das habe er in seinem Leben noch nicht getan, und außerdem wüßte man sowieso im voraus wer gewinnen wird, erklärt der 30jährige Schweißer in einem staatlichen Kairoer Elektrobetrieb. In Ägypten werden am Mittwoch Parlamentswahlen abgehalten, doch die meisten Ägypter scheinen ähnlich wie Gamal zu denken. Mit nur 44 Prozent Wahlbeteiligung rechnet das Nationale Statistikzentrum.

Das ägyptische Wahlrecht hat einige Besonderheiten. 444 Mandate sind zu vergeben, in 222 Wahlkreisen je zwei: Ein Parlamentarier soll die Arbeiter- und Bauernschaft vertreten, der andere die freien Berufe. Dieses ständische Auswahlverfahren wurde noch unter Nasser festgelegt. Zehn Zusatzmandate vergibt der Staatspräsident. Um die Stimmen kämpfen über 4.400 Kandidaten aus neun Parteien, eine Rekordzahl. Unter ihnen sind aber nur 35 Frauen und nur 25 Vertreter der Minderheit der christlichen Kopten. Wenn niemand in einem Wahlkreis die absolute Mehrheit erreicht, entscheidet eine Stichwahl am 6. Dezember. Als sicher gilt wie bei jeder bisherigen Parlamentswahl der eindeutige Sieg der Nationaldemokratischen Partei NDP, des Präsidenten Hosni Mubarak (Wahlslogan: Demokratie, Entwicklung und Stabilität).

Wahlfälschung ist alte Tradition

Traditionsgemäß werden diese Wahlen von oben kontrolliert, um das Gefüge der regierenden Elite nicht ins Wanken zu bringen. Wiederholt hatten die Oppositionsparteien die Regierung bei den letzten Wahlen angeklagt, am Ende des Wahltages die Wahlzettel der eingeschriebenen Wähler, die nicht im Wahllokal erschienen waren, mit dem Namen ihrer Kandidaten auszufüllen. Bei der letzten Parlamentswahl vor fünf Jahren war es ein Einfaches, das Volksvotum zu kontrollieren, da die meisten Oppositionsparteien mit Ausnahme der linken Sammlungspartei (Slogan: Demokratie, Soziale Gerechtigkeit und Nationale Einheit), die ihrer Meinung nach undemokratischen Wahlen boykottiert hatten.

Dieses Mal dürfte es ein wenig komplizierter werden. Alle Oppositionsparteien treten an, und selbst die als Partei verbotenen islamistischen Muslimbrüder (Wahlslogan: Der Islam ist die Lösung) stellen sich als unabhängige Kandidaten. Trotz des schon jetzt feststehenden Gewinners, stellen sich zwei interessante Fragen: Wieviel Opposition wird die Regierung zulassen, und wer wird die stärkste Oppositionspartei?

Bisher hatte sich die regierenden Partei immer eine solide Zweidrittelmehrheit im Parlament gesichert. Derzeit rätselt man, ob sie sich wohl diesmal mit einer geringeren Mehrheit zufriedengeben wird. Daß die Regierung wenigstens vorsichtig demokratisieren will, hat sie gezeigt, als sie jeder Oppositionspartei 40 Minuten Sendezeit im staatlich kontrollierten Fernsehen zugestanden hatte. So mancher Oppositionsführer kam ob der überraschenden Möglichkeit vor laufender Kamera ins Stottern. Bisher wurden alle Oppositionsparteien sogar in sämtlichen anderen Programmen unterschlagen, in den Nachrichten finden sie nie irgendeine Erwähnung. Die Grenzen des staatlich geduldeten Wahlkampfs werden auch dann recht schnell deutlich, wenn die Zuschauer mehrmals täglich mit Werbespots „14 Jahre Errungenschaften Hosni Mubaraks“ bombardiert werden. Das, so Informationsminister Sarwat Scharif, sei kein Wahlspot, sondern lediglich eine Kampagne zur 14jährigen Amtszeit des Präsidenten.

Wie stark wird die Muslimbrüderschaft?

Gespannt wartet man, ob die Islamisten als zweitstärkster Block ins Parlament einziehen werden – das Alptraumszenario der Regierung, dem sie mit harten Mitteln vorzubeugen versucht. Traditionsgemäß war zweiter Sieger bislang immer die marktwirtschaftlich orientierte Wafd-Partei (Slogan: Ich liebe das Leben der Freiheit). Der „Partei der Paschas“, wie sie abschätzig von ihren politischen Gegnern bezeichnet wird, fehlt es zwar nicht am Geld, dafür aber am notwendigen Profil, um sich von der Regierungspartei zu unterscheiden.

Das wiederum haben die islamistischen Muslimbrüder. In der Vorwahlzeit hatte die Regierung dann auch alles getan, um die Muslimbrüder zu kriminalisieren. Ein Dutzend ihrer Kandidaten wurde sogar vor ein Militärgericht gestellt und eine Woche vor den Wahlen teilweise zu fünf Jahren Zuchthaus wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation verurteilt. Und die Kampagne ging weiter: Vorgestern wurden sechs Kandidaten, die auf Flugblättern das Urteil kristisiert hatten, ebenfalls festgenommen. Rund 400 Anhänger der Muslimbrüder wurden ebenfalls festgenommen. Die Regierung hat Wahlkampfveranstaltungen der Vereinigung verboten.

Seit den letzten Wahlen hat sich eine weitere Partei etabliert. Die vor zwei Jahren wieder zugelassenen Nasseristen haben das Potential, den Islamisten als einziger ernstzunehmender Oppositionspartei den Rang abzulaufen. Die Nasseristen (Wahlslogan: Wir besitzen den Ruhm der Nation und wir sollten auf diesem Ruhm aufbauen) sehen sich in der Tradition des arabischen Nationalismus des Staatsführers Gamel Abder Nasser in den sechziger und siebziger Jahren. Mit ihrer Hilfe hofft die ideologisch relativ profillose regierende NDP nun den Islamisten eine säkulare Oppostions-Alternative entgegengestellt zu haben.

Der Wahlkampf verlief wie bei jeder vorherigen Wahl relativ unpolitisch. Die Kandidaten versuchen die Wähler durch Dienstleistungen zu überzeugen. Der Wahlkampf ist die Zeit, in der man Genehmigungen für illegal errichtete Gebäude und handfeste Versprechen für ein Krankenhaus, eine Abwasserleitung oder eine Schule erhalten kann. In diesem Sinne mag auch der Schweißer Gamal von dem Ereignis profitieren.

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