piwik no script img

Systematisch in den Ruin

■ Mit einem angeblich absolut gewinnsicheren Roulette-System wollte ein Frührentner an das große Geld - und landete wegen Betrugs auf der Anklagebank

Der Angeklagte, der sich gestern vor dem Amtsgericht wegen Betrugs verantworten mußte, hat angeblich das, wovon viele Menschen träumen: Ein „sicheres“ Rezept, um schnell ans große Geld zu kommen. Sechs Jahre lang hat der Frührentner „ein bis zwei Mal die Woche“ am Roulette-Tisch gestanden, Zahlen notiert, sie miteinander verglichen und schließlich sein Gewinn-System entwickelt: „Time Dimension-Dosage-Strategy-Number-One“ – der vermeintliche Schlüssel zum Reichtum. Doch statt auf eine Segelyacht in der Südsee, brachte ihn das Spielsystem wegen Betrugs auf die Anklagebank. Nach eigenen Angaben hat er außerdem 500.000 Mark Schulden, lebt von Erwerbsunfähigkeitsrente, ergänzender Sozialhilfe und Wohngeld. „Selbstverständlich“ könnte das System ihn finanziell sanieren, betont der Mann in der Verhandlungspause. „Aber zum Spielen man braucht Geld. Wenn man kein Startkapital hat, kann man auch nicht spielen.“

Für 30.000 Mark hat er seine Zahlenspielereien deshalb an ein gutgläubiges Ehepaar verkauft und ihnen einen durchschnittlichen Gewinn von 10.000 Mark monatlich versprochen. 3.000 Mark wollte er Provision kassieren – exklusive 10 Pfenning Fahrtkostenvergütung pro Kilometer.

Doch die Eheleute verloren ihr Geld, den Glauben an die Menschheit und zeigten den Hobby-Mathematiker an. Sie fühlen sich betrogen. Die Staatsanwältin gibt ihnen recht. Sie glaubt, daß sich der Angeklagte „unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ bereichern wollte. Der Mann schüttelt energisch den Kopf. „Das weise ich ausdrücklich von mir“, entrüstet er sich. „Mein System funktioniert.“

Den Beweis bleibt er allerdings schuldig. Das Geheimnis von „Time-Dimension-Dosage-Strategy Number-One“ nicht lüften – es sei denn, alle Anwesenden würden eine „Verzichtserklärung“ unterschreiben, mit der sie sich verpflichten, das System nicht anzuwenden.

Dem Richter gegenüber würde der Angeklagte eine Ausnahme machen. „Ihnen würde ich ja gerne was über mein System verraten“, sagt er und beugt sich über den Tisch hin zum Richter. „Aber dann müssen Sie die Öffentlichkeit ausschließen. Sonst verfolgen die Leute mich auf Schritt und Tritt.“ „Sie meinen, Sie könnten Millionär werden, und die Leute würden Sie dann verfolgen“, hakt der Richter nach. „Ja genau“, nickt der Angeklagte. „Wissen Sie, ich habe jahrelang gerechnet und gerechnet und jetzt soll das bekannt werden. Nein, nein“.

Die Zeugen bringen schließlich Licht ins Dunkel. „Das System bestand darin, immer rot, schwarz, die geraden oder die ungeraden Zahlen zu spielen“, verrät die Zeugin, eine 61jährige Rentnerin. „Mein Mann hatte einen Unfall und war fünf Monate krank. Dann kam die Kündigung und wir mußten sehen, wie wir zurechtkamen.“

Damals stieß das Paar auf die Zeitungsanzeige des Angeklagten, der Mitglieder für seine Lotto-Tioppgemeinschaft suchte. „Der machte einen sehr korrekten Eindruck, außerdem schien er viel Geld zu haben“, erinnert sich die Zeugin. Doch nach zwei Jahren Lotto zahlte das Paar drauf. Der Mann hatte zwar eine neue Anstellung gefunden, er kam aber mit dem Streß nicht klar und wollte seinen Beruf aufgeben. „Herr T. hat gesagt, ich hätte da was für Sie, und irgendwann haben wir dann nach diesem Strohhalm gegriffen“, seufzt die Zeugin.

„Er hat mit unserem Geld in der Spielbank gespielt. Jetzt glaube ich, daß wir ihm damals nur den Kick bezahlt haben.“ „Was für einen Kick“, will der Angeklagte wissen. „Naja, ich hatte den Eindruck, ich hätte einen Spieler vor mir“, sagt die Zeugin. Der verzieht keine Miene.„Ich habe keinen Menschen betrogen“, beteuert er. „Mein System funktioniert.“ Daß er fest an sein System glaubt, nimmt ihm der Richter ab. Er verurteilt ihn dennoch wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 3.000 Mark und folgt dem Antrag der Staatsanwältin. „Ihr System taugt nur dazu, die Einsätze zu kontrollieren“, sagt er. „Insofern könnte man Ihr System auch dem Finanzsenator empfehlen.“ kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen