■ Normalzeit
: Als die SPD dem Klassenkampf huldigte

Die komische ewige Wiederkehr des 9. November, zuletzt als Tag des Mauerfalls, ist bekannt. Ebenso der 1. September – als Datum der ersten erfolgreichen „deutschen Schlacht“ (1870): der Sedanstag, dann als Beginn des Zweiten Weltkriegs („Immer wenn ich Beethoven höre, will ich Polen erobern!“): die „Sedansfeier“, und nun als Tag des ersten Kampfeinsatzes von Bundeswehrtruppen.

Günter Grass' Idee einer Bearbeitung der DDR-Auflösung nach dem Marxschen Diktum „In der Geschichte wiederholt sich alles zweimal – einmal als Tragödie und einmal als Farce!“ ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Man frage also nicht, wenn zum Beispiel die PDS vom Verfassungsschutz bespitzelt wird: „Haben die se noch alle?!“, sondern: „Was war da eigentlich – vor hundert Jahren?“

Nach dem Ende der „Sozialistengesetze“ war feierlich der Schlußstein am Reichstag gesetzt und sodann als erstes die verschärfte „Umsturzvorlage“ dort eingebracht worden. Danach wurde schon die „Absicht auf den Umsturz des Staates“ mit Zuchthaus bestraft, für „Aufreizung zum Klassenhaß“ gab es Gefängnis.

Der alte Wilhelm Liebknecht erhielt im September 1895 erstmalig, in seiner Wohnung Kantstraße 160, Besuch von einem gewissen Lenin. Dessen russische Genossen wurden in der Folgezeit von den Berliner Sozialdemokraten mit Unterkünften und falschen Pässen versorgt. Weil Demonstrationen in Berlin immer ein riesiges Spitzel- und Polizeiheer angezogen hatten und dann ganz verboten worden waren, waren die Berliner Proletarier auf die Idee gekommen, in Massen auf sozialdemokratischen Beerdigungen zu erscheinen. Jährliches Hauptereignis war ihr Gang zum Friedhof der Märzgefallenen in Friedrichshain, wo die Partei eine Märzzeitung verteilte. Dann starb Wilhelm Liebknecht, und es stand wieder eine Beerdigungsdemonstration an – über 150.000 Arbeiter begleiteten den Zug, der von der Kantstraße zum „Sozialistenfriedhof“ führte. Kurz darauf trat Liebknechts Sohn Karl, ein Rechtsanwalt, in die SPD ein.

Mit der Expansion der Berliner Metall- und Elektrobranche verzehnfachte sich zwischen 1895 und 1900 die Industriearbeiterschaft. Das wird „das Jahrhundert der sozialen Revolution“, frohlockte August Bebel und eröffnete in der Lindenstraße 69 ein neues sozialdemokratisches Dienstleistungs-Center: „mit modernster Technik“. Damit waren Druckerei, Verlag, sowie alle Parteiinstitutionen unter einem Dach.

Wenig später wurde am Engelufer 15 auch noch das „Gewerkschaftshaus“ eröffnet – mit Lese- und Speisesaal und einem Arbeiterhotel. Bei der nächsten Wirtschaftskrise stieg die Arbeitslosigkeit wieder auf 7,2 Prozent: In Berlin waren 70.051 Werktätige ohne Arbeit und 53.098 auf Kurzarbeit.

Die Unternehmer versuchten prompt die „Errungenschaften der Arbeiterklasse“ wieder rückgängig zu machen. Die Sozialdemokraten hielten dagegen: Fritz Zubeil forderte zur Senkung der Arbeitslosigkeit eine „schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit“. Bürgermeister Kirschner wiegelte ab: In Berlin sei eine Sockelarbeitslosigkeit von 40.000 „normal“. Die Polizei verhaftete unterdessen zwei Bolschewiki und sprach von einer sozialdemokratisch unterstützten Russenmafia. Ihrem Anwalt Karl Liebknecht gelang es, in das SPD-Parteistatut die Bestimmung unterzubringen: Es ist eine Ehrenpflicht, die russischen Genossen in der Illegalität zu unterstützen. Die Kreuz-Zeitung titelte: „Herr, gib uns wieder Krieg!“ Helmut Höge

wird fortgesetzt