■ Du und dein Auto: Eau de Vignette
Je dümmer die AutofahrerIn, desto mehr High-Tech packt er oder sie sich ins Wageninnere. Mercedes-Benz entwickelt gerade einen Straßenzustandserkenner für meteorologisch Minderbemittelte, die Regenwetter nicht von Sonnenschein unterscheiden können. So erübrigt sich der lästige Blick durch die Windschutzscheibe (oder auf das Reifenprofil) – die FahrerIn kann sich voll auf den Cassettenrecorder oder den Zigarettenanzünder konzentrieren, denn ein Frühwarnsystem meldet Schleudergefahr. Auch an der Lackierung, die den Promillewert ermittelt und ein Türblockadesystem auslöst, wird in Stuttgart bereits gearbeitet.
Eine andere, bislang noch nicht technologisch befriedigend gelöste Außensituation ist die Dunkelheit. Wem der Anblick von FußgängerInnen Angst einflößt, schaltet bei Nissan auf das Infrarot-Passantenerkennungssystem um, und der Mensch im Dunkeln wird geortet. Und wer mit der Zahl 30 auf Kriegsfuß steht, kann sich demnächst über eine Weltneuheit freuen: den ersten automatischen Geschwindigkeitsbegrenzer für Tempo-30-Zonen.
Der Mensch, das Mängelwesen, hat vielleicht auch Zweifel an der Bremskraft des rechten Fußes. Dann holt er sich die elektronische Organprothese aus dem Hause Bosch: Aber leider steckt das „High-Tech-Bremspedal“, das über Sensoren den „Bremswunsch“ vom Fuß abliest, noch in der Lauflernphase.
Doch das Auto hat nicht nur Feinde außerhalb der Fahrgastzelle, nein, es bedroht – die Industrie hat es längst kapiert – sich selbst. Und so erweitert sich zur allgemeinen Freude der Autofirmen das Feld der technischen Nachrüstung immer mehr. Aus diesem Geist heraus hat Nissan der „Rattergeräuschneigung“ von Wischblättern den Kampf angesagt. Doch die neue Nylonbeschichtung arbeitet leider so ruhig, daß die FahrerIn vor sich hinträumen kann und ein Problem zweiter Ordnung entsteht: Die dämmernde FahrerIn ruft das neue „Sekunden-Schlafwarnsystem“ (der gleichen Firma natürlich) auf den Plan: eine Minikamera im Armaturenbrett überwacht ständig das Gesicht des Fahrers. Wird daraufhin die Lidschlagfrequenz falsch gemessen, und kein Warnton folgt, greift die (vorerst) letzte Sicherung ein: die schlummernde gesichtskontrollierte FahrerIn wird mit einem Eau de Vignette (Duftnote „Waldsterben“) benebelt. Gerd Michalek
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