: Kampf um Papandreous Erbe
Griechenlands Ministerpräsident ist totkrank. Als Politiker hat er den Respekt der Griechen verloren, als altersblinder Gatte nicht ihr Mitgefühl ■ Von Niels Kadritzke
Berlin (taz) – Die Ära Papandreou ist vorüber. Auch wenn der griechische Ministerpräsident, der laut Aussagen seiner Ärzte gestern mit dem Tode rang, seine Lungenentzündung doch noch überstehen und aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte – einen amtsfähigen Regierungschef wird er nicht einmal mehr simulieren können. Was Volk und Gefolgschaft des Pasok-Vorsitzenden lange erfolgreich verdrängen konnten, läßt sich nicht mehr verheimlichen.
Andreas Papandreou hat den richtigen Zeitpunkt für seinen Rückzug verpaßt – physisch wie politisch. Nach seinem letzten Wahlsieg im Oktober 1993 hätte er sich, von allen respektiert und in Ehren gehalten, aus der Politik verabschieden können. Er aber ließ sich zu einer dritten Amtszeit als Regierungschef verführen. Den falschen Ehrgeiz schreiben viele – auch in seiner engsten Umgebung – dem Einfluß und dem Ehrgeiz seiner Ehefrau Dimitra (Mimi) zu. Die habe, nachdem sie den Oppositionsführer Papandreou geheiratet hatte, unbedingt die Rolle der First Lady genießen wollen.
Die Altersblindheit des liebenden Gatten für die Schwächen seiner ehrgeizigen Gemahlin hat den Nimbus des Politikers nachhaltig unterminiert, und so haben die Griechen heute zu ihrem „Andreas“ – wie ihn Freund und Feind nennt – ein schizophrenes Verhältnis: Der Patient Papandreou genießt das Mitgefühl der ganzen Nation, doch der Respekt vor dem Politiker Papandreou ist selbst einem Großteil der Pasok-Anhänger verloren gegangen.
Papandreous akute Lungenentzündung hat nicht nur die Athener Börsenkurse erschüttert, sondern vor allem die Pasok. In der Partei ist die Nachfolge völlig anarchisch geregelt – also gar nicht. Weder hat der autoritär regierende Parteiführer jemals eine Diskussion um sein Erbe zugelassen, noch hat die Partei sich selbst ein demokratisches Verfahren verschrieben, nach dem die Nachfolge zu klären wäre.
In dieser Lage bleibt nur eines: Nach außen wird Harmonie zelebriert. Nie sei man so geschlossen gewesen wie heute, beschwören Papandreous Flügeladjutanten. Aber das gilt nur für die Einigkeit in der Überlebensangst.
In Wirklichkeit ist hinter den Kulissen längst der Kampf um die Nachfolge ausgebrochen. Die aussichtsreichsten Kandidaten, auf griechisch „Diadochen“ genannt, reißen sich im Krankenhausfoyer vor den Fernsehkameras die Mikrofone aus der Hand. Und wenn die Ärzte nicht davor wären, würden sie sich am liebsten auf der Intensivstation fotografieren lassen. Wer nicht mindestens jeden zweiten Tag im Vorzimmer des Patienten gesehen wird, den hat das Parteivolk von der Liste der aussichtsreichen Nachfolger gestrichen.
Ernsthafte Chancen aber werden nur drei Kandidaten zugeschrieben. Die besten Startlöcher hat sich Innenminister Akis Tsochatsopoulos gegraben. Er verwaltet nicht nur das Ministerium, das über die meisten Einstellungen in den Staatsdienst befindet, er hält auch noch die Hebel der Parteimaschine in der Hand, weil er bis vor kurzem Pasok-Generalsekretär war. Im Sommer ahnte er gerade noch rechtzeitig, daß man ein Ministeramt haben muß, um sich zum Nachfolger des Staatsmannes Papandreou aufzubauen. Jetzt amtiert er stolz als Statthalter seines krankgeschriebenen Ministerpräsidenten. Tsochatsopoulos' Handicap besteht darin, daß er bei den Wählern der mit Abstand unbeliebteste Pasok-Politiker ist.
Außerhalb der Partei viel populärer ist der ehemalige Wirtschaftsminister Kostas Simitis. Ihm wiederum fehlt die Unterstützung des Parteiapparates, weil er einer der ganz wenigen Leute ist, die Andreas Papandreou ab und zu auch widersprochen haben. Simitis repräsentiert die „sozialdemokratische“ Modernisierungsfraktion innerhalb der Pasok. Sein Mut zur eigenen Meinung hat ihn erst letzten Sommer veranlaßt, als Minister seinen Hut zu nehmen. Simitis' Anhänger sind vor allem in der Parlamentsfraktion der Pasok konzentriert. Sein größter Vorteil liegt darin, daß er mit seiner seriösen Ausstrahlung die Wechselwähler weit besser ansprechen kann als der Apparatschik Tsochatsopoulos. Das gilt auch für seine wichtigste Verbündete, die frühere EG- Kommissarin Vasso Papandreou, die in den Umfragen regelmäßig die höchsten Seriositätswerte erreicht. Zusammen mit Simitis würde sie ein Gespann bilden, dem die Zustimmung der Pasok-Wähler ebenso sicher wäre wie die Eifersucht der populistischen Parteikader.
Der dritte Kandidat ist Verteidigungsminister Gerassimos Arsenis, der sich in US- und Nato-Kreisen bester Protektion erfreut. Arsenis war erst vor einigen Jahren in die Partei zurückgekehrt, nachdem ihn Papandreou Mitte der achtziger Jahre als zu eigenständigen „linken“ Wirtschaftspolitiker vertrieben hatte. Inzwischen hat er sich angepaßt und spielt die Stimme seines Herrn. Arsenis hätte dann eine Chance, wenn sich die beiden Hauptkontrahenten gegenseitig blockieren und die Partei einen Kompromiß sucht.
Unklar ist aber noch immer, wer eigentlich für „die Partei“ entscheidet. Nach der Verfassung wird der Nachfolger eines zurücktretenden oder „ausscheidenden“ Ministerpräsidenten von der Parlamentsfraktion nominiert. Dieser Kandidat wird allerdings die für seine Wahl notwendigen Stimmen im Parlament nur dann bekommen, wenn die Parteiorgane seine Kandidatur absegnen. Sollte es in dieser Frage zum Konflikt zwischen Fraktion und Partei kommen, dann ist das für die Pasok eine Zerreißprobe. Deshalb gibt es eine starke „zentristische“ Gruppe, die vorerst nur einen provisorischen Nachfolger wählen will.
Aber damit wäre der Kampf der Diadochen nur hinausgeschoben: Spätestens im nächsten Jahr muß die Partei einen glaubwürdigen Nachfolger präsentieren, mit dem sie zu den Wahlen im Herbst 1997 antreten will.
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