: Betty und die Schulbuben
■ Betty Carter vertrieb im „Moments“ die Herbstmelancholie
„This crazy world is so loud – we need a softness sometimes – I'll be forever grateful – for the love notes!“ Sanft, ruhig und voller Wärme sang Betty Carter diese Textzeilen ihrer Komposition „Love Notes“ und brachte damit zugleich ihr Credo und ihre Wirkung beim Publikum auf den Punkt. Ihr Konzert im Moments war vielleicht das beste Heilmittel gegen die November-Schwermut, das es ohne Krankenschein gibt. Ihre Musik strahlte soviel Lebenskraft und Liebe aus, daß man sich ihren „good vibrations“ gar nicht entziehen konnte.
Aber auch wenn ein Großteil des Konzerts aus ruhigen Balladen bestand und die Harmonien so geschmeidig über die Zuhörer schwappten, daß jedes an der Bar umfallende Bierglas wie aus der Hölle herüberschepperte, hatte dieses Konzert nichts Einschläferndes an sich. Mit jedem Song begab sich Betty Carter auch auf eine Reise, und dabei machte sie solch unerwartete Abstecher und Kursänderungen, daß die jungen Musiker ihres Quartetts sich sehr anstrengen mußten, um mit ihr Schritt zu halten.
Da war jeder Moment wichtig. Bei den Texten der Balladen wurde jedes einzelne Wort in eigenen Klangfarben gemalt. Beim Scatgesang flog die Stimme frei über den Begrenzungen der Kompositionen, und Betty trällerte, gurrte, zwitscherte und flüsterte mit einer Eleganz, die vergessen ließ, welche akrobatische Vokaltechnik all das erst möglich machte.
Diese Verbindung von technischer Brillianz, Abenteuerlust und großer Emotionalität macht Betty Carter zu solch einer Ausnahmeerscheinung. Daß sie jedes Jahr wieder von „Downbeat“ als beste weibliche Jazzsängerin prämiert wird, ist inzwischen schon eine Selbstverständlichkeit. Aber sie live dabei zu erleben, wie sie zweieinhalb Stunden lang das Publikum bezauberte, war ganz etwas anderes. Denn Betty Carter ist auch eine geschickte Entertainerin, die zu jedem Song, ja: fast jeder Note, auch mit ihrem Körper eine Geschichte erzählte – mit dem Verziehen des Mundes, einem kurzen ironischen Blick oder der Hand, die einzelne Töne aus der Luft zu formen schien.
Von den Musikern der Band hatte wohl noch keiner im Publikum je etwas gehört. Inzwischen ist es ja schon Tradition, daß Betty Carter sich auf ihren Tourneen von jungen Jazzmusikern begleiten läßt. Wie früher in der Band von Art Blakey kann man hier die Stars von morgen in ihren Lehrjahren erleben. Tatsächlich wirkten die vier Musiker oft wie schüchterne Schuljungen, denen Betty auch mitten im Song sagte, wie sie spielen sollten. Um so erstaunlicher war es, wie makellos diese Band spielte. Der romantische Ton des Pianisten Xavier Davis, das organische Pulsieren des Basses von Matt Hughes, das Schlagzeug von Willie Terrill, das oft so piano gespielt wurde, daß man es fast nur erahnen konnte und ganz besonders das Saxophon von Mark Shim, das mit der gleichen Souveränität so schrie wie bei Pharoah Sanders und brummte wie bei Ben Webster, ergänzten Betty Carters Gesang ideal.
Auch wenn einige Zuhörer anfangs über das Rauchverbot schmollten, bot das „Moments“ mit seiner schummrigen Club-Atmosphäre das passende Ambiente für diesen rundherum gelungenen Auftritt. Auch Betty Carter fühlte sich hier offensichtlich wohl: Sie spielte einen erstaunlich langen zweiten Set. Ganz vergangen sind die love notes dieses Abend übrigens zum Glück noch nicht. Der Veranstalter, die Jazz Redaktion von Radio Bremen, hat das Konzert aufgenommen, und sendet es am 18. Februar im zweiten Programm.
Willy Taub
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