: "Es geht uns allen an die Jacke"
■ Wie kann man sich die Zukunft des Theaters am Halleschen Ufer vorstellen? Was ist realistisch, was zu wünschen? Ein Gespräch mit Nele Hertling, Leiterin des Hebbel-Theaters und Kennerin der Szene
taz: Der Vertrag von Hartmut Henne, dem Intendanten des Theaters am Halleschen Ufer, wurde nicht über 1996 hinaus verlängert. Die Begründung von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin lautete, Henne würde mit seiner Forderung nach eigenen Produktionsmitteln seinen Auftrag unterlaufen. Denn der bestehe darin, das Haus den Freien Gruppen zur Verfügung zu stellen. Was halten Sie von dieser Begründung?
Nele Hertling: Ich bin gar nicht so sicher, daß Roloff-Momin wirklich glaubt, Henne würde seinen Auftrag unterlaufen. Als Henne vor zwei Jahren die Intendanz des neuen Theaters am Halleschen Ufer übernahm, sagte die Kulturverwaltung: Es gibt jetzt keine Produktionsmittel. Aber die Forderung, daß sich das in Zukunft ändern müsse, stand von Anfang an im Raum. Ich vermute, daß das Theater ganz einfach deswegen keine eigenen Projektmittel bewilligt bekam, weil keine Gelder vorhanden sind. Es geht bei diesem Konflikt also wohl weniger um ein Prinzip, sondern eher um Sachzwänge. Meinem Eindruck nach hat man in der Kulturverwaltung sehr richtig erkannt, daß ein Haus ohne eigene Produktionen kein eigenes Profil entwickeln kann.
Wie stehen Sie zu der Entscheidung des Senators, Hartmut Hennes Vertrag nicht zu verlängern?
Ich stimme mit Herrn Henne überein, daß so ein Haus wie das Theater am Halleschen Ufer ohne eigene Mittel nicht zu führen ist. Aber auf der andern Seite hat er die Kontaktaufnahme mit der Berliner Szene nicht geschafft. Es ist ihm nicht gelungen, das Haus zu einem Ort zu machen, wo sich Künstler wohl fühlen. Man kann es nur schwer erklären – es gab sicher kein Versäumnis an Arbeit, es handelt sich mehr um etwas Atmosphärisches. Er hat sich nicht richtig präsentiert.
Er sitzt in seinem Büro und rechnet und rechnet.
Genau, und dafür ist ja eigentlich das Podewil da, dem das Theater am Halleschen Ufer angegliedert ist. Es wäre möglich gewesen, die Finanzgeschichten viel stärker an die zuständige Veranstaltungs GmbH abzugeben. Eigentlich hätte Henne nur eine gute Buchhaltung gebraucht, die ihm die Konten führt, und er selbst hätte seine Zeit und seine Kraft in eine andere, nach außen sichtbarere Position stecken können. Aber vielleicht ist er dafür der Falsche.
Sollen für das Theater am Halleschen Ufer keine Schließzeiten entstehen, muß die Nachfolge spätestens im Januar feststehen. Hartmut Hennes Mitarbeiterinnen, Gabriele Pestanli und Eva Heldrich überlegen, sich als kollektives Leitungsteam zu bewerben. Wie fänden Sie das?
Ich war von Anfang an der Ansicht, daß ein Haus in dieser Größenordnung nicht einen Geschäftsführer und zwei dramaturgisch arbeitende Leute braucht. Man hätte das bißchen Geld, das einem dort zur Verfügung steht, besser anlegen können. Ein aus zwei Personen bestehendes Leitungsteam wäre da schon eine sehr viel sinnvollere Konstruktion. Man könnte die Entscheidungen gemeinsam treffen und eine gute Buchhaltung hinzuziehen, die gemeinsam mit der Veranstaltungs GmbH die Abrechnungsgeschichten übernimmt. Eva Heldrich und Gabriele Pestanli als Doppelgespann mit Sachverstand einzusetzen und die Stelle von Hartmut Henne einfach einzusparen, halte ich für eine wunderbare Idee. Die beiden Frauen haben das Vertrauen der Szene, und sie haben sich sehr gut eingearbeitet. Wer immer auch von draußen kommen würde – er wäre sowieso auf ihr Wissen angewiesen.
Gleichzeitig würde der Konflikt um die Eigenmittel seine Brisanz verlieren. Denn jeder neue Leiter muß entweder sagen: „Der Vorgänger hatte recht, ich fordere genau das gleiche“, und dann sind wir wieder da, wo wir jetzt sind, oder er fügt sich den Anordnungen des Kultursenats und macht damit die Schritte zunichte, die schon gegangen wurden. Die beiden Frauen mit ihrem Wissen, wie man auch ohne große Mittel einiges bewegen kann, brauchen das gar nicht so zu thematisieren.
Es wird uns noch allen hart an die Jacke gehen bei den Einsparungen, die auf uns zukommen. Im Augenblick haben wir in Berlin die schlimmste Finanzlage, die die Stadt seit Jahrzehnten hatte. Perspektivisch kann es nur besser werden. Wenn man sich darauf einigen könnte, daß es im Moment für das Theater am Halleschen Ufer zwar keine zusätzlichen Mittel geben kann, aber durch Einsparungen und Umschichtungen wenigstens ein bißchen Geld in eigene Projekte gesteckt werden darf, wäre das eine wirkliche Perspektive.
Wenn das allerdings nicht möglich sein sollte, braucht man gar keine künstlerische Leitung. Um nur den Veranstaltungskalender des Hauses zu verwalten, genügt ein Mensch, der mit den Technikern das Haus führt. Aber damit würde man das Theater ins Aus führen. Wenn man im Bewußtsein des Publikums nicht präsent ist – und ohne eigenes Profil ist man das nicht –, ist das unglaublich gefährlich.
Wir merken das mit dem Hebbel-Theater gerade selber. Wir mußten unser Haus für vier Wochen vermieten, weil unser Etat seit den Kürzungen vor zwei Jahren für eine ganzjährige Bespielung zu knapp ist, und wir merken: Es ist gefährlich. Vier Wochen nicht selbst präsent zu sein ist heute schon gefährlich.
Interview:
Michaela Schlagenwerth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen