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Die Studentenzeit war aufregender

Manche der frisch gewählten Abgeordneten waren ein wenig unsicher, andere spielten routiniert ihre neue Rolle. Die Grünen vermieden internen Streit: Ganz hinten sitzen die letzten der Landesliste  ■ Von Severin Weiland

Für den SPD-Neuling Christian Gaebler war die gestrige Eröffnung des Abgeordnetenhauses eine kleine Enttäuschung. Im Vergleich zum Studentenparlament der TU, dem er Mitte der 80er angehört hatte, sei das doch eine recht ruhige Veranstaltung gewesen. Ein wenig „lebhafter“ meinte der 30jährige, zugleich der jüngste Abgeordnete seiner Partei, hätte es schon zugehen können.

Während einige der Newcomer gestern noch ein wenig unsicher durch die Vorhalle des Abgeordnetenhauses liefen, gaben sich andere routiniert. Monika Grütters, bis gestern Pressesprecherin bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft, gab sich gewohnt diplomatisch und sprach von einer „sehr interessanten Veranstaltung“. Schade fand die linksliberale CDU-Abgeordnete nur, daß man sich gleich in der ersten Sitzung mit Mißtrauensanträgen von Grünen und PDS herumschlagen müsse. Das sei eines Parlaments „unwürdig“. Hanns-Peter Hartmann von der PDS, einst kämpferischer Betriebsratsvorsitzender des privatisierten Ostberliner Belfa-Batterieherstellers, kommentierte das Schauspiel weitaus gelassener. „Kennt man doch alles aus dem Fernsehen, die Wahl fand ich spannender.“ Mehr Sorgen hat der 52jährige um seinen nächsten Job. Als Nachrücker für den Schriftsteller Stefan Heym wechselt er demnächst in den Bonner Bundestag. Am Rheinufer, befürchtete Hartmann, könnte es allerdings ebenso lange Fraktionssitzungen geben wie in Berlin. Kürzlich habe man bis ein Uhr morgens getagt, das sei härter als jede Parlamentssitzung.

Aufgeregt? Nein, meint Klaus Wowereit (42), zugleich neuer stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. Am Mittwoch habe er seinen Abschied als Stadtrat in Tempelhof begossen und danach „sehr gut geschlafen“. Lampenfieber habe er nur vor seiner ersten Rede. Die SPD nutzte die Heerschar der Fotografen, die auf der Pressetribüne ein regelrechtes Chaos verursachten, um rote Rosen an die Frauen im Parlament zu verteilen. Womit man so nebenbei darauf hinwies, daß das weibliche Geschlecht in der 55köpfigen SPD-Fraktion am stärksten vertreten ist. Bescheidener fiel der symbolische Akt der Bündnisgrünen aus. Als Zeichen der Solidarität mit den Aidskranken trugen sie eine rote Schleife. Norbert Schellberg, bis vor kurzem noch Landesgeschäftsführer, hatte sich für den Auftritt in den heiligen Hallen „ein wenig schicker“ angezogen als sonst. „Ich nicht“, konterte Uwe Dähn und tippte an sein Sakko: „Das trage ich meistens.“ Die hinteren Reihen im Plenarsaal mußten diejenigen bei den Grünen einnehmen, die ganz hinten auf der Landesliste plaziert worden waren. Um Streit zu vermeiden, wer ganz hinten sitzen muß, hatte Schellberg seiner Fraktion dies vorgeschlagen. „Mir kann man nichts vorwerfen“, meinte er verschmitzt. Schließlich war Schellberg als letzter der Landesliste nur dank der Stärke der PDS über ein Ausgleichsmandat in die heiligen Hallen gelangt.

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