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Dessous im Nebel

■ Neu im Kino: Michelangelo Antonionis „Jenseits der Wolken“/ Erlesene Schauplätze, verblasene Dialoge

Über die bildschönen Menschen in den wunderschön fallenden Armani-Mänteln in Michelangelo Antonionis letztem Film, die ihre von sanfter Melancholie verschatteten Antlitze in die pittoresk vernebelte Silhouette des winterlichen Ferrara halten, ist genug gelästert worden. Auch daß die bleischweren Dialoge, die den Figuren im Hafen von Portofino oder in schicken Pariser lofts entfahren, ihr Gewicht aus nebulösen, philosophisch angehauchten Sentenzen beziehen – geschenkt. Drittens die Brustwarzen. Ausgiebig streift die Kamera (Alfio Contini) über makellos geformte, entblößte Busen, von exquisiten Dessous befreit. Etwa alle zwanzig Minuten neu. Denn die vier Kurzgeschichten Antonionis, die er jetzt, 82jährig, verfilmt hat, kreisen um Liebeslust und -frust mehrerer Frauengestalten. Eine Variante seines letzten großen Filmes „Identifikation einer Frau“ (1982). Vereinzelung, enttäuschte Erwartungen, schicksalhafte Begegnungen – daraus sind Antonionis Filme gestrickt.

Leider ist aus „Jenseits der Wolken“ keine Quintessenz von Antonionis Lebenswerk geworden, sondern ein erschreckend verquastes Sammelsurium von unglaubwürdig ihre Seelentiefe auslotenden Figuren. Ob es der Wasserbauingenieur (Kim Rossi Stewart) ist, der sich nicht entschließen kann, die geliebte Lehrerin (Ines Sastre) im Hotelzimmer nebenan aufzusuchen (während sie die ganze Nacht darauf gewartet hat); oder der hartnäckige junge Mann (Peter Weller), der einer vergeistigten jungen Dame (Irène Jacob) durch halb Aix-en-Provence folgt, bevor seine Libido an ihren letzten Worten „Morgen trete ich ins Kloster ein“ abprallt. Künstlichkeit in allen Bildern, Verrätselung, die ins Banale abdriftet, große Worte, die peinlich papieren klingen.

Michelangelo Antonioni, einer der letzten, noch lebenden Meisterregisseure aus der Hochzeit des italienischen Kinos, erlitt vor elf Jahren einen Schlaganfall. Er kann nicht mehr sprechen, nur noch „ja“ und „nein“ sagen, seine linke Hand deutet Regieanweisungen an. Keine Versicherung wollte das Risiko eingehen, für die Kosten eines solchermaßen behinderten Regisseurs einzustehen. Ein Back-up-Regisseur wurde gesucht. Und in Wim Wenders gefunden. Da arbeiten ja gerade die zwei richtigen zusammen, könnte man meinen. Doch die von Wenders gedrehten Szenen – die Exposition und der die vier Amouren zusammenhaltende rote Faden – sind die besten im ganzen Film. Hier streift der großartige John Malkovich als Antonionis alter ego durch die Schauplätze auf der Suche nach einer Geschichte für einen neuen Film. Und will durch Bilder von den Dingen den Dingen näherkommen. Womit wir uns auf Wenders ureigenstem filmtheoretischen Terrain befinden. Und mit mildem Blick auf seine Absicht schauen, dem Altmeister Antonioni zu unterstützen, einen Film zu machen. Und sei es ein schlechter. Alexander Musik

tägl. 17.30, 20.30 Uhr (Fr/Sa auch 23.00 Uhr) im Atlantis

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