: „Nutzer und Älpler“
Auf der Europäischen Alpenkonferenz in München trieb sich der Geist der siebziger Jahre um ■ Von Christel Burghoff
Partnerschaft für die Alpen“, fordern Naturschützer. Rettet sie vor Tourismus und Verkehr, vor staudamm-, häusle-, straßenbauenden Menschen – diesem ganzen wilden Betätigungswahn! Nur wenige Alpenfreunde sind bislang in sich gegangen und praktizieren eine idealtypische Umkehr wie Reinhold Messner, der Extrembergsteiger: sich ein altes Schloß kaufen, es ökologisch vorbildlich sanieren, in die natürliche Landwirtschaft einsteigen und obendrein noch kräftig dafür werben. Messner meint denn auch, er kehre „vor der eigenen Haustür“. Als Festredner auf der Europäischen Alpenkonferenz schreibt er diese Botschaft ins Merkheftchen seines Publikums: „Alles, was die öffentliche Hand macht, funktioniert nicht, die Politiker denken immer zu kurz – ich plädiere für das kapillare Arbeiten.“
Der Rückzug aufs traute Heim ist nicht neu – und auch nicht die Vermengung von Selbstverantwortlichkeit mit einer politischen Abfuhr. Seit die Umweltdiskussion boomt, werden saubere Idyllen gern als Allheilmittel zur Rettung der Umwelt bemüht. Daß dies nicht reicht, um langfristige Veränderungen zu bewirken, ist auch eine Einsicht, die ihre Anhänger hat. Diese fordern verbindliche Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und machen sich für Maßnahmen wie die ökologische Steuerreform stark.
Auf der Europäischen Alpenkonferenz, die der Deutsche Naturschutzring (DNR) – der Dachverband für 106 deutsche Umweltorganisationen – in Kooperation mit der Internationalen Alpenschutzkommission Cipra und der Naturfreunde Internationale vom 17. bis 19. November in München veranstaltete, traffen knapp 200 Teilnehmer auf über 50 Referenten. Und alle sprachen sich aus. So der bayerische Umweltminister Thomas Goppel, der wahlkampfgerecht rote Karten an sogenannte schlechte Verbündete im Umweltkampf verteilte, oder der Multimedia-Künstler Thomas Fiedler, der öko-nostalgisch in indianischen Lebensweisheiten schwelgte und via Diashow das instrumentelle Denken seiner weißen Brüder und Schwestern geißelte. Verantwortliche aus der Wirtschaft standen aufgebrachten Naturschützern gegenüber, Wissenschaftler wie der Alpenspezialist Werner Bätzing warteten mit differenzierten Untersuchungen zum sozio-ökonomischen Strukturwandel auf; Bürgermeister warben für sanfte Gemeinden, und Vertreter von Ökogütesiegeln redeten der besseren Vermarktung das Wort. Selbst das Luis- Trenker-Zentral-Archiv war präsent mit „Natürlichen Ansichten zu unnatürlichen Verhältnissen“ und empfahl: Umweltschutz nur im Einklang mit Gott und Natur. Im Jargon des Kongresses gesprochen, treffen „Nutzer“ auf „Älpler“. Die Zeit scheint überreif für eine neue Runde Alpenengagement. Trotz jahrzehntelanger Alpenschutzdiskussion und wahrhaft erstaunlichen Erfolgen angesichts aller kontroversen Interessen hakt es jetzt nämlich bei den internationalen Vereinbarungen der Alpenländer, der „Alpenkonvention“. Sie wurde einst von den Naturschutzverbänden initiiert und versteht sich heute als „Instrument zur regionalen Ausgestaltung einer nachhaltigen Gebirgsentwicklung“. 1991 wurde die Alpenkonvention von den Vertretern aller acht Alpenstaaten und der EU unterzeichnet, 1995 trat sie in Kraft. Obwohl völkerrechtlich bindend, kann sie erst nach Einigung über ihre Protokolle umgesetzt werden. Doch darüber herrscht Streit unter den Alpenländern. Vor allem über das gemeinsame Vorgehen in den Bereichen Verkehr und Tourismus, sind hier doch – neben schönen Entwicklungsmodellen – auch international verbindliche Beschränkungen angesagt. Beim touristischen Ausbau genauso wie bei Verkehrstrassen. Ein Thema, das nicht zuletzt auch diejenigen „Älpler“, die gut und satt vom Tourismus leben, auf die Barrikaden bringt. Hinzu kommen strittige Punkte wie der Brennerbasistunnel: Seine Planungsgrundlagen, so stellte sich auf dieser Konferenz heraus, beruhen auf falschen Kapazitätsberechnungen. Was vom bayerischen Umweltminister als unumgängliche Lösung für die Verkehrsfrage hingestellt wird, könnte sich als eine überflüssige Mammutinvestition erweisen.
In vier Workshops wurden zentrale Themen verhandelt: Transitverkehr, inneralpiner Verkehr, Gütesiegel für umwelt- und sozialverträglichen Tourismus in den Alpen. Diese Schwerpunkte bilden zweifellos das Umweltkonzept der Naturschutzverbände ab. Grob umrissen: Neue Verkehrsprojekte und weitere Erschließungen im Tourismus zu verhindern, den Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, die touristische Angebotsstruktur und die Köpfe der Menschen zu verändern. Als Anreiz dafür lockt das vom DNR initiierte Ökolabel „Grüner Koffer“, ein Gütesiegel für ökologisch korrekte touristische Idyllen, das der DNR europaweit durchbringen will. In einem Positionspapier schließlich wurden die Vorschläge detailliert aufgelistet und als „Münchener Erklärung“ verabschiedet.
Was sollen diese Aktivitäten bewirken? Reinhard Sander, der Tagungspräsident, schätzt ihre Signalwirkung an und für sich, und zwar „im Sinne des Partnerschaftsthemas“: „Wir müssen das Gefühl vermitteln, daß wir und die Einheimischen am gleichen Strang ziehen.“ Weniger weihevoll sieht Klaus Gerosa, der Organisator dieser Konferenz, den Zweck in einer gemeinsamen Plattform für die NGOs. „Die Alpenkonvention ist politisch gesehen eine Null – die Naturschutzverbände wollen dazu nicht geschwiegen haben.“ Für Gerosa ist dies der Auftakt für eine neue Kampagne.
Auf ein neues also. Auch wenn der Geist der Zeit längst heftig weiterschreitet mit internationalen Themen wie Effizienz- und Suffizienzrevolution oder ökologischer Steuerreform – hier wird noch einmal die klassische Kampagnenpolitik betrieben: die Basis mobilisieren, den Basar der Meinungen auf Marschrichtung bringen, Stimmen sammeln, die Medien aktivieren, die Politiker nerven. Manchmal, so hat man schon gehört, kann solche Beharrlichkeit tatsächlich weiterbringen. Christel Burghoff
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