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„Ein zweiter Dolchstoß an der Front“

■ Wie Remarques Roman in der Weimarer Republik zum Symbol der Linken und zum Haßobjekt der Rechten wurde

Herbst 1927. Erich Maria Remarque arbeitet zu dieser Zeit für die Berliner Sport im Bild. Aufgefallen ist er mit Essays wie „Über das Mixen kostbarer Schnäpse“. Er hat in diesem Herbst aber auch innerhalb kurzer Zeit seinen Romanerstling geschrieben. Das Manuskript läßt er erst einmal in der Schreibtischschublade verschwinden, verschickt es auf Anraten von Freunden dann aber doch. Die Verleger rümpfen die Nase. Selbst Samuel Fischer, eigentlich mit gutem Bestsellerinstinkt ausgestattet, gesteht später, er habe nur einmal in seinem Leben einen Fehler gemacht: im Falle von Remarques „Im Westen nichts Neues“. Bei Ullstein ringt man sich zur Buchausgabe durch, zu einem Zeitpunkt, da der Roman bereits als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung erscheint. Die Geschichte vom jungen Paul Bäumer, der begeistert in den Ersten Weltkrieg zieht, dort aber von der Sinnlosigkeit der Materialschlachten ernüchtert wird, läßt die Auflage der Zeitung in die Höhe schnellen. Der Roman, eigentlich eher ein dokumentarischer Bericht, wird zum Symbol eines pazifistischen Humanismus in der politisch zerissenen Spätphase der Weimarer Republik. Täglich werden 20.000 Exemplare verkauft, die Übersetzungsrechte gehen in 23 Länder. Noch heute ist im „Westen nichts Neues“ der Antikriegsroman schlechthin.

Bereits im Erscheinungsjahr beginnt Lewis Milestone in Hollywood mit der Verfilmung des Romans. In Deutschland steht der breiten Zustimmung die Hetze nationalsozialistischer Einpeitscher gegenüber. Im Völkischen Beobachter schreibt Hans Zöberlein, selbst Autor von Kriegsromanen: „Es ist eine jauchzende Entschuldigung der Deserteure, Überläufer, Meuterer und Drückeberger, und somit ein zweiter Dolchstoß an der Front, an den Gefallenen aber eine Leichenschändung.“ Remarque ist über Nacht zum Feindbild der Nazis geworden, sogar Goebbels arbeitet sich an ihm ab. Die Uraufführung des Films 1930 im Berliner Mozartsaal wird von der NSDAP mit Hilfe von Stinkbomben und weißen Mäusen gesprengt, der Film kurz darauf verboten. Drei Jahre später verbrennen die Nazis Remarques Bücher.

Der versteht sich gar nicht als politischer Schriftsteller und verzichtet auf jede öffentliche Stellungnahme. Sein Frontbericht hat eine auch bis heute einmalige politische Wirkungsgeschichte und wird nach dem Zweiten Weltkrieg zur Pflichtlektüre für 50er-Jahre- Pennäler. Remarque macht eher den Eindruck eines Lebemannes, den die ganze Aufregung stört. Carl von Ossietzky etwa, Chefredakteur der Weltbühne, kritisiert Remarques politische Abstinenz. Es sei gut gewesen, daß er dem „fatalen Tageruhm“ auswich, verhängnisvoll aber, „daß er vor den Kämpfen kniff, die eine ebenso unausweichliche Konsequenz seines Erfolges waren“.

Remarque ist bereits 1931 in die Schweiz emigiriert und geht später nach Amerika. Anders als im Fall Brechts oder Tollers werden seine Romane von Hollywood verfilmt, er selbst hat in dieser Zeit allerdings eine andere Passion: den Eisberg Marlene Dietrich zum Schmelzen zu bringen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebt er wieder in der Schweiz und heiratet in den 50er Jahren zum zweiten Mal: Paulette Goddard, eine der Ex-Ehefrauen von Charlie Chaplin. Nach Remarques Tod im September 1970 vermacht sie den gesamten Nachlaß der New York University. Darunter ist auch ein maschinengeschriebenes Manuskript von „Im Westen nichts Neues“. Die letzte handschriftliche Fassung allerdings mit vielen Änderungen und Korrekturen ist nicht dabei.

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