Wirklich ein Mord?

■ Birgit Vanderbeke liest ihre Tötungsphantasien-Prosa

Die Autorin sitzt im Zug von Montpellier bis Metz und läßt die Gedanken schweifen. Für sie steht von Anfang an fest: Ich will meinen Mord. Auserkoren hat sie dazu den Mann ihr gegenüber, den sie auf den Namen Viszman tauft und der ihr zu Beginn mit seiner manierierten Coolheit ziemlich auf die Nerven geht. Doch je mehr sie sich in ihrer Phantasie dem Fremden nähert, desto schwerer fällt ihr die fiktive Tat.

Durch seine Schuhe („Boykott antikommunistischen Schuhwerks“) entfacht er bei ihr Mitleid, und durch seine Diderot-Lektüre glaubt sie in ihm gar einen Verschwörer für eine neue Tat zu erkennen. Nun gilt es, den Waffenhändler Barbagelata beiseite zu schaffen. Denn die Ich-Erzählerin, ein radikalindividualistisches Subjekt, hat nichts weniger vor, als Europa zu retten.

Geschrieben ist Ich will meinen Mord in einer temporeichen Sprache, zuweilen in punktloser Rastlosigkeit und übersteigerten Wiederholungen, die dem Willen der Erzählerin zur Tat die nötige Brisanz verleihen. Der gedachte Mord fungiert als Ausgangspunkt für die fiktiven Handlungsmuster, in die die zugestiegenen Personen im Laufe der Erzählung ebenfalls verwoben werden: zwei Schweizerinnen, denen die Erzählerin um des Mordplans willen ihren Urlaub verlängert, sowie drei Inspektoren der Naturschutzbehörde, die sich über besagten Barbagelata unterhalten.

Der Auftritt dieser Neulinge gibt der Autorin den Raum, um Stellung zu beziehen: zum Vulgärfeminismus, zur Korruption in der Politik und zur Schweizer Spießigkeit. Alles ohne erhobenen Zeigefinger, zwischen den Zeilen scheint vielmehr radikale Kulturkritik durch – wobei absurde Fiktion und erzählerische Wahrscheinlichkeit kunstvoll vernäht sind. Nicht umsonst ziert den Roman einleitend ein Diderot-Zitat: „Man muß demjenigen mißtrauen, der die Ordnung herstellen will.“

Auch die eigene schriftstellerische Tätigkeit wird mitreflektiert: In dem Roman hat ihr Verleger sicher nichts dagegen, wenn seine Autorin einen politisch motivierten Mord begeht. Denn schließlich kann das wunderbar als Gerichts-Spektakel verkauft werden, und ebenso wie in der Realität steigert auch in der Phantasie ein Mord die Auflage.

Kai Mierow

Birgit Vanderbeke – Ich will meinen Mord; Rowohlt Berlin, 123 Seiten, 28 Mark

Lesung heute, 19.30 Uhr, in der Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1