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Streikfront in Frankreich wächst an

Auch die Gegner des Ausstandes machen mobil. Premierminister Juppé bleibt weiter stur. Statt Gesprächen bietet der angeschlagene Regierungschef Ersatztransporte an  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

„Grévistes – Egoistes“, „Streikende – Egoisten“, schrien am Samstag aufgebrachte Geschäftsleute am Rathaus von Paris. Knapp 3.000 waren dem Aufruf eines Parlamentariers aus dem Regierungslager gefolgt. 3.000 Gegner – am neunten Tag des Streiks. Die massive Kampagne gegen die Streikbewegung begann erst gestern. Da rief Premierminister Alain Juppé einige ausgewählte Minister in seinen Amtssitz im Palais Matignon. Das Ergebnis der Besprechung: Von heute an gibt es „zivile Ersatztransporte“ in Paris. 1.500 Busse hat die Regierung gechartert, um die Menschen trotz des Streiks zur Arbeit zu bringen. Angesichts mehrerer Millionen Passagiere, die an normalen Tagen die Metro benutzen, ist mit den Bussen nicht viel auszurichten. Aber für die Streikenden ist der Beschluß ein klares Signal: Juppé verweigert weiter das Gespräch.

Parallel zu der Schrumpfkabinett-Entscheidung mehrten sich im ganzen Land die Initiativen gegen den Streik. An zahlreichen Orten sammelten Anhänger der neogaullistischen Regierungspartei RPR Unterschriften gegen die Lähmung des Landes. Und seit dem Wochenende verkehren private Busgesellschaften zwischen den Großstädten. Der Einsatz von Militärfahrzeugen zum Streikbruch allerdings ist nicht geplant. Das verlautet zumindest aus dem Verteidigungsministerium.

Von einem einheitlichen Vorgehen innerhalb des Regierungslagers kann indes keine Rede sein. Während Premierminister Juppé am Wochenende stur blieb, mischte sich sein gewichtigster politischer Konkurrent aus dem eigenen Lager, Parlamentspräsident Philippe Seguin, unter streikende Eisenbahner. „Nein“, versicherte er verständnisvoll den Arbeitern, „selbstverständlich sind die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes keine Privilegierten.“ Seguin, langjähriger Gefolgsmann von Jacques Chirac und ausgewiesener Maastricht-Kritiker, gilt seit langem als möglicher Premierminister – falls Juppé scheitern sollte.

Eine neue politische Dimension erhielt der Streik am Samstag mit dem Mißtrauensantrag der Sozialisten. Angesichts der stabilen absoluten Mehrheit der Konservativen hat das Vorgehen zwar nicht die geringste Erfolgsaussicht, markiert aber eine deutliche Stellungnahme der größten Oppositionspartei, die in den vergangenen Tagen uneinig über die Regierungspolitik gewesen war.

Die Streikfront wuchs am Wochenende weiter. Heute wollen zahlreiche öffentliche Schulen, zusätzliche Postverteilerzentren und die „France Telecon“ in den Ausstand gegen die Sparpläne treten. Mehrere Fluggesellschaften planen diesen Schritt für die zweiten Wochenhälfte.

Empfindliche Auswirkungen könnte auch eine Zuspitzung der Auseinandersetzungen in den Elektrizitätswerken haben. Bis zum Wochenende reduzierten die Elektrozitätswerker die Stromproduktion von 25.000 auf 12.000 Megawatt. Für morgen rufen die Gewerkschaften CGT und FO erneut zu einem Aktionstag auf. Die Studenten wollen am Dienstag ebenfalls streiken.

Hartnäckig hält sich in Paris das Gerücht, die Lkw-Fahrer wollten die Stadttore blockieren. Sollten sie das wirklich tun, wäre die Versorgung von Paris unterbrochen – wie im Mai 1968.

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