: Gelöscht wird nicht mit Benzin
■ Nach der Großrazzia der vergangenen Woche fühlen sich die Sprayer "systematisch kriminalisiert". Szene wird dadurch radikalisiert, fürchten Aktivisten
Für Albrecht (Name geändert) war die Welt morgens um sieben nicht mehr in Ordnung. Jäh war er eine Stunde zuvor von drei Polizeibeamten aus dem Schlaf gerissen worden. Das war letzten Dienstag, als die Sonderkommission ihre zweite Großrazzia in der Graffitiszene binnen elf Monaten veranstaltete. 66 Wohnungen durchsuchte sie. Unter anderem jene des neunzehnjährigen Albrecht. Mit richterlichem Durchsuchungsbefehl stellten die Männer von der Sonderkommission Graffiti sein Zimmer auf den Kopf. Was sie dann mitnahmen, war recht bescheiden für den Aufwand: ein Skizzenbuch mit vielen Fotos, die Negative dazu, zwei Adreßbücher und ein knappes Gramm Haschisch. Die Sprühdosen, das Tatwerkzeug schlechthin, ließen sie da. Aber ihn nahmen sie mit zur erkennungsdienstlichen Behandlung. So ging es 30 anderen Leidensgenossen auch. Fotos haben sie von ihm gemacht und sich gewaltsam seine Fingerabdrücke besorgt. „Ich bin behandelt worden wie ein Verbrecher“, sagt Albrecht. Sogar der Wunsch, einen Anwalt anzurufen, sei ihm verwehrt worden. Mehr will Albrecht nicht erzählen, weil er Angst hat. Angst davor, daß jede weitere Aussage, und sei sie noch so anonym gehalten, gegen ihn verwandt werden könnte.
Adrian Nabi ist diesmal von der Soko verschont geblieben. Seit 1983 „lebe ich HipHop“, sagt der 25jährige. Und zum HipHop gehört nicht nur Tanz und Musik, sondern auch das Sprühen (Writing), die ästhetische Auseinandersetzung mit den Buchstaben. Er ist Mitinitiator einer Selbsthilfegruppe in Kreuzberg, die Sprayer im Umgang mit der Polizei berät und ihnen, wenn erforderlich, Anwälte vermittelt. Von zwanzig Fällen weiß er, denen es ähnlich wie Albrecht ergangen sei. Er hat aber auch gehört, daß die Polizei bei Leuten gesucht hat, „die rein gar nichts mit der Szene zu tun haben“.
Von Waffen wie Messern, Schlagstöcken und Gaspistolen sowie harten Drogen, von denen die Polizei in ihrer Bilanz spricht, sei ihm nichts bekannt. „Harte Drogen sind uncool“, sagt er, „sicher gibt es Leute, die welche nehmen, aber die werden nicht ernst genommen.“ Anders sieht er den Waffenbesitz: „Wenn du drei- bis viermal einen auf die Schnauze bekommen hast, dann schaust du, wie du dich schützt. Auf die Polizei kannst du dich dabei als letzte verlassen.“ Daher sei für ihn Waffenbesitz in einer Großstadt ganz normal. Ein Charakteristikum der Graffiti-Szene sei es aber nicht. Ähnlich verhalte es sich mit dem Klauen. Manche täten es, andere wieder nicht. „Klar, viele Kids kommen von der Straße, und die können nicht von heute auf morgen ihre Herkunft wie einen Mantel ablegen.“
Nabi geht davon aus, daß die Polizei versucht, „uns systematisch zu kriminalisieren“. Das heißt, sie sucht nach Beweisen, die gar nichts mit der Tätigkeit als Sprüher – Sachbeschädigung – zu tun haben, aber unter Umständen für eine Anklage wegen eines anderen Vergehens ausreichen könnten. So habe die Soko die Wohnung des Herausgebers eines Graffiti-Magazins nur aus einem Grund durchsucht: Man wollte Nachweise für Steuerhinterziehung finden. In anderen Fällen soll die Polizei neu- oder höherwertige Sachen beschlagnahmt haben, die nicht mit einer Quittung belegt werden konnten. Nabi befürchtet, daß gerade durch dieses polizeiliche Vorgehen die Szene radikalisiert wird. Es fehle eine Ebene, auf der sich mit den Jugendlichen und dem Problem auseinandergesetzt werden würde. „Wenn du Feuer löschen willst, dann nimmst du doch kein Benzin.“ Christoph Oellers
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