: Nur der Terminator ist ein guter Kerl
Vom Kino lernen? Ein U-Bahn-Attentat und die folgenden Zensurdiskussionen beschäftigen die USA ■ Von Andrea Böhm
Und wieder soll Hollywood schuld sein. Dieses Mal an den lebensgefährlichen Verbrennungen von Harry Kaufman. Harry Kaufman ist 50 Jahre alt, Angestellter der New Yorker Verkehrsbetriebe und als solcher an der Subway-Station „Kongston-Throop Avenue“ in Brooklyn zuständig für den Verkauf von tokens, jener Münzen, die anstelle von Fahrscheinen ausgegeben werden. Diese Tätigkeit verrichtete Harry Kaufman unauffällig, aber gewissenhaft, bis am Morgen des vorletzten Sonntags zwei Männer brennbare Flüßigkeit in sein verglastes Schalterhäuschen schütteten, ein brennendes Streichholz hinterherwarfen und das Kabuff in ein Inferno verwandelten. Seitdem liegt Harry Kaufman auf der Intensivstation.
Wer nun unbedingt sehen möchte, wie ein brennendes Schalterhäuschen in der New Yorker Subway aussieht, muß ins Kino gehen. Dort läuft seit zwei Wochen der Action-Thriller „Money Train“, in dem neben zahlreichen anderen pyrotechnischen Kunststücken auch ein ebensolches Häuschen nach beschriebener Methode in Flammen aufgeht – und zwar in der New Yorker U-Bahn. Die Ärzte hatten kaum Harry Kaufmans Brandwunden versorgt, da ertönte ein altbekanntes Grollen aus dem Kapitol zu Washington. Das amerikanische Volk habe ein Recht, seine Empörung gegen jene kundzutun, die mit einer „Pornographie der Gewalt“ den Umsatz an den Kinokassen steigern wollten, erklärte Bob Dole, Mehrheitsführer der Republikaner im Senat und aussichtsreichster Bewerber um die Nominierung seiner Partei für die Präsidentschaftswahlen.
„Zensur“ witterte daraufhin der Kolumnist Richard Cohen, natürlich ein Liberaler, in der Washington Post. Nix Zensur, konterte Dole, denn Zensur obliegt ja dem Staat – und den wollen so manche im politischen Umfeld der Republikaner ins nächstbeste Schalterhäuschen stecken und ... Nein, das Volk, so der Politiker, solle seine Macht und seine moralische Überlegenheit durch den Boykott von „Money Train“ beweisen. „Life imitates art“, behauptet Dole – und verschweigt dabei, daß Brandanschläge auf Schalterhäuschen in der New Yorker Subway seit Ende der achtziger Jahre eine ebenso reale wie widerwärtige Erscheinung sind.
Doles Manöver ist so durchsichtig, daß man sich schon tumb vorkommt, es noch einmal zu beschreiben: Als ein „Moderater“ im republikanischen Koordinatensystem muß er um die Stimmen der christlichen Rechten besonders buhlen. Als Zielscheibe eignet sich neben Abtreibung und Sozialhilfe auch Hollywood – spätestens seit der reale Dan Quayle im Wahlkampf 1992 die fiktive Heldin der TV-Sitcom „Murphy Brown“ attackiert hatte, weil die laut Drehbuch ein uneheliches Kind zur Welt brachte.
Heute kommt kein Politiker daran vorbei, sich als Hüter von Sitten und Moral zu verkaufen. Es sind Zeiten, in denen sich höchst unpopulär macht, wer politische und ökonomische Ursachen von Gewalt auch nur zu erwähnen wagt. Vielleicht findet es in den US-Medien deswegen kaum jemand sonderbar, daß Bob Dole im selben Atemzug, in dem er sich gegen die Gewaltverherrlichung auf der Leinwand empört, die ersten zaghaften Gesetze zur Waffenkontrolle wieder aufheben will.
Nun bewegt die Frage, ob die Kunst das Leben imitiert oder
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