■ Zum 20. Todestag von Hannah Arendt. Einige Anmerkungen zu ihrer feministischen Rezeption: Vagabundin des Denkens
Werk und Person von Hannah Arendt stehen derzeit hoch im Kurs. Über die politische Theoretikerin, früher oft für altmodisch oder konservativ erachtet, wird geforscht und geschrieben wie noch nie. Kaum ein Kongreß, keine Tagung, wo ihr Name nicht mindestens einmal fällt. Ihre Schriften sind zu einem Steinbruch geworden, aus dem nach Belieben Stücke herausgebrochen werden.
Auch bei Feministinnen ist Hannah Arendt en vogue, obwohl sie sich für die „Frauenfrage“ nie besonders interessiert hat. Das rührt zunächst aus der schlichten Tatsache, daß es überhaupt so wenig bedeutsame Vordenkerinnen gibt. Hannah Arendt, Schülerin, Freundin und Geistesgefährtin großer Männer, ist eine der wenigen, denen die Ehre zuteil wurde, in den Kreis der „Klassiker“ politischen Denkens aufgenommen zu werden. So war sie die erste Frau, die 1950 an der katholischen University of Notre Dame eine Vorlesung halten durfte. Drei Jahre später gelang ihr das gleiche in Princeton. Dort erhielt sie mit 53 Jahren auch ihre erste ordentliche Professur. Ihren Status als Alibi- oder Ausnahmefrau aber liebte sie überhaupt nicht. Über ihre Situation unter den Princeton-Männern schrieb sie: „Bei der Abschlußfeier und leicht beschwipst erklärte ich den dignified gentlemen, was ein Ausnahmejude ist, um ihnen klarzumachen, daß ich mich nicht notwendigerweise als Ausnahmefrau gefühlt hatte.“
Hannah Arendt begriff sich vor allem als Jüdin. „Judesein“ war für sie „unbezweifelbare Faktizität“ ihres Lebens. Und ihre Erfahrungen mit Verfolgung, Flucht und Exil festigten in ihr das Bewußtsein, „Paria“ zu sein – Ausgestoßene, Entrechtete. Nicht nur darin sah sich in einer Linie mit Rahel Varnhagen, der deutschen Jüdin der Romantik, und mit Rosa Luxemburg, ihrer „Heldin der Revolution“: Außenseiterinnen, Grenzgängerinnen, mit denen sie sich intellektuell auseinandersetzte und tief verbunden fühlte. Bewußte Paria – Weltbürgerin und Heimatlose zugleich. Ein Selbstbild, das vielen Feministinnen vertraut ist, in dem sie sich wiederfinden.
Hannah Arendts Heimat war das Verstehen. („Männer möchten immer furchtbar gerne wirken, ich möchte verstehen.“) Ihr „leidenschaftliches Denken“ aber läßt sich keiner akademischen Schule oder politischen Richtung zuordnen. Es ist voller innerer Widersprüche, Inkonsistenz und Eigensinn. Einmal schrieb sie: „Sie fragen mich, wo ich stehe. Ich stehe nirgendwo. Ich befinde mich mit meinem politischen Denken auf keiner heutigen oder sonstigen gängigen Linie. Nicht etwa, weil ich besonders originell sein möchte – es ergibt sich immer so, daß ich irgendwie nicht hineinpasse.“
Allein diese Unangepaßtheit und ihr Anspruch auf „Selbstdenken“ machen sie zum Vorbild. Außerdem nimmt sie in ihrer distanzierten Haltung gegenüber der institutionalisierten (männlichen) Wissenschaft spätere feministische Kritik in gewisser Hinsicht vorweg. Hannah Arendt war eine „Vagabundin politischen Denkens“ schreibt die österreichische Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky. Gerade dieses geistige Umherschweifen, diese Unbestimmbarkeit, aber macht sie heute attraktiver denn je. Und die Subjektivität, die sie sich in ihrem Denken erlaubte, die Betonung des Narrativen, des „Story-telling“.
Hannah Arendt verdanken wir eine hervorragende Analyse totalitärer Herrschaftssysteme, die nach dem Zusammenbruch der bipolaren Nachkriegsordnung wieder große Aktualität besitzt. Mit der überall wachsenden Gewalt und Diskriminierung geht auch ein Rückschlag gegen weibliche Freiheiten einher. Immer wieder hat Hannah auf den Zusammenhang von Machtverlust und zunehmender Gewalt hingewiesen. Macht und Gewalt waren für sie antagonistisch: Wo die eine herrscht, kann die andere nicht existieren. Dabei faßte sie Macht positiv: nicht als Herrschaft über andere, sondern als Vermögen zum politischen Handeln, im Sinne eines dialogischen und konsensualen Miteinanders. Hier liegt ein anderer wichtiger Ansatzpunkt für das große Interesse an ihr. Denn ähnliche Ansprüche erheben auch feministische Theore und Praxis. Im Mittelpunkt des Arendtschen Handlungsmodells steht der Begriff der Pluralität. So heißt es in der „Vita activa“: „Das Handeln bedarf einer Pluralität, in der zwar alle dasselbe sind, nämlich Menschen, aber dies auf die merkwürdige Art und Weise, daß keiner dieser Menschen je einem anderen gleicht, der einmal gelebt hat oder lebt oder leben wird.“ Von Pluralität auszugehen heißt anzuerkennen, daß es viele und unterschiedliche Menschen gibt, heißt, diese Differenzen – in Meinungen und Interessen – nicht nur zuzulassen, sondern beim Miteinander-Handeln positiv mitzudenken.
Feministinnen, die vom postmodernen Differenzgedanken umgetrieben werden, finden heute in Hanna Arendt eine „unüberspringbare“ Vordenkerin, wie es jüngst die Berliner Philosophin Christina Thürmer-Rohr formulierte. Sie sei eine der „glaubwürdigsten Garantinnen des Differenzgedankens“, „unausweichlich“ auch bei der Suche nach einem neuen feministischen Selbstverständnis jenseits von „politischem Universalismus“ und „totalisierenden Tendenzen“. Nun machte Hannah Arendt, wie gesagt, aus ihrer Abneigung gegenüber feministischen Ideen keinen Hehl. (Eine Rezension von Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht“ lehnte sie zum Beispiel ab, weil sie das Werk schwach, unreflektiert und humorlos fand!) Schließlich war ihr jede Form von Identitätspolitik suspekt. Auch ihre persönliche Entwicklung diskutierte sie nicht gerne im Zusammenhang mit der Emanzipation der Frau. Auf der einen Seite kokettierte sie mit ihrem „altmodischen“ Rollenverständnis, auf der anderen reklamierte sie für sich selbstverständlich eine Freiheit, die das alte Geschlechterrollenkorsett sprengte. Außerdem beharrte sie auf einer strikten Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit. Das machte sie für die Geschlechterverhältnisse weitgehend blind. Die Frauenfrage hielt sie für eine soziale Frage, und der soziale Bereich war für sie kein Ort für politisches Handeln. (Das Private ist politisch – dieser Leitsatz der neuen Frauenbewegungen hätte sie zutiefst indigniert.) So sehr sie mit den Protestbewegungen der sechziger Jahre in den USA und Europa sympathisierte, so fragwürdig blieb ihr die „Women's Liberation“. Auf einer deren Versammlung soll sie gesagt haben: „Die wahre Frage lautet doch: Was werden wir verlieren, wenn wir gewinnen?“ Ulrike Helwerth
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