Nächstes Jahr in Montenegro?

Nach dem Fall des Embargos gegen Restjugoslawien kann auch die Teilrepublik an der Adria wieder auf zahlungskräftige TouristInnen hoffen  ■ Von Ursula Rütten

In den gut vier Jahrzehnten des sozialistisch regierten Jugoslawiens ist es der Teilrepublik Montenegro vergleichsweise gut ergangen. Die Zahl ihrer EinwohnerInnen, gut 600.000, ist zwar gerade mal halb so groß wie die von Belgrad, der Hauptstadt der heutigen jugoslawischen Restrepublik. Aber das kleine „Land der Schwarzen Berge“ mit Grenzen zu Bosnien, Serbien, Albanien und Kroatien wußte seine guten wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen zum eigenen Wohl zu nutzen. Diese Politik schlug bereits in historischen Zeiten, als Montenegro noch ein selbständiger Staat war, vor allem in weltweiten Handelsbeziehungen zu Buche. Während das ehemalige Jugoslawien 30 bis 40 Prozent seines Nationaleinkommens aus Auslandsgeschäften erzielte, lag der entsprechende Anteil in Montenegro noch 1991 bei 62 Prozent.

Reiche Buntmetall-, Bauxit- und Eisenerzvorkommen brachten, vor allem durch den Export, Jahreseinnahmen von 200 bis 300 Millionen US-Dollar. Die kleine Küstenstadt Bar im Süden des Landes, nahe der Grenze zu Albanien, war der Heimathafen einer der größten Flotten im Mittelmeerraum mit Handelsverbindungen über alle Weltmeere.

Vier Jahre lang blieb diese Rubrik in der Wirtschaftsstatistik des Landes offen. Die letzte Eintragung vor dem Embargo, datiert von 1991: Rund 1,5 Millionen Tonnen sind im Hafen von Bar umgeschlagen worden, die Einnahmen beliefen sich auf 300 Millionen US- Dollar.

Auch nach der Aufhebung des Embargos ist in den Häfen von Bar, Kotor und Zelenika nicht von heute auf morgen mit einer Wiederbelebung des geschäftigen Lebens zu rechnen – zumindest nicht mit dem legalen. In den Docks von Bar verrotten die großen Frachtschiffe und Kreuzfahrtdampfer. 2.500 Hafenarbeiter wurden in den Zwangsurlaub geschickt. „Sieben Schiffe mußten als Notverkäufe regelrecht verschleudert werden“, klagt Montenegros Informationsminister Božidar Jaredić. „Ein Schiff im Wert von zehn, zwölf oder fünfzehn Millionen Dollar haben wir für zwei, drei Millionen US-Dollar verkauft, weil wir es nicht länger unterhalten konnten.“

Doch die Not hat schon immer auch erfinderisch gemacht. Ein Geheimtip für Schmuggler und Schieber jeden Kalibers war Montenegro schon lange nicht her – eher schon deren öffentlicher Tummelplatz, auch wenn der Minister davon nicht spricht. Neben dem Warenumschlag tat sich zunehmend auch der Menschenhandel als einträgliche Einnahmequelle auf: mit AlbanerInnen, die auf dem Seeweg von Bar (Montenegro) nach Bari (Italien) die Chance nutzen, den (serbischen) Kosovo zu verlassen. Um dem Schmuggel zuvorzukommen, hatte Italien seit Mitte dieses Jahres einseitig den Autofährbetrieb eingestellt. Die Zusammenarbeit mit der italienischen Mafia scheint trotzdem zu funktionieren: Waffen und Benzin gegen Drogen und Tabak. Zigaretten aus montenegrinischem oder serbischem Tabak zum Beispiel landen mit Marlboro-Etiketten versehen in Italien – Verkaufspreis dort: 2,50 Mark, in Montenegro: 20 Pfennig.

Mit Blick auf eine langfristige wirtschaftliche Sanierung wird das Land alles daransetzen müssen, sich wieder eine werbewirksame weiße Weste anzulegen. Es kann dabei auf legale Ressourcen zurückgreifen, vor allem auf seine Natur und ihre touristische Erschließung. Während der Fremdenverkehr für Restjugoslawien insgesamt nicht einmal zwei Prozent des Bruttosozialprodukts ausmacht, entwickelte sich dieser Wirtschaftszweig für Montenegro in den achtziger Jahren neben der Schiffahrt zum zweiten ökonomischen Standbein.

In den letzten Jahren vor Ausbruch des Krieges kamen 90 Prozent der ausländischen Gäste aus Deutschland. Sie bevorzugten vor allem Ziele an der 200 Kilometer langen Adriaküste südlich von Dubrovnik, Budva, die Bucht von Kotor, Ulcinj, Herceg Novi, Miločer. Nur wenige fanden den Weg in das wildromantische Landesinnere: zum Nationalpark rund um den Skutarisee, dem größten Binnensee auf dem Balkan, oder zum höchsten der „Schwarzen Berge“, zum Durmitor, einem Zweieinhalbtausender im Westen Montenegros. Der und die Wirtschaftssanktionen haben dem Land einen Verlust von über 600 Millionen US-Dollar eingebracht, weil die TouristInnen wegblieben. In diesem Jahr sehen die Bilanzen der Gastronomie noch düsterer aus als im Vorjahr – die Aufhebung des Embargos wird sich erst im nächsten Jahr auswirken. Devisen bringende Gäste aus dem westlichen Ausland sind ohnehin rar geworden, seit Restjugoslawien die Visumpflicht eingeführt hat. Mit 35.000 Gästen war die Bettenkapazität in der letzten Hauptsaison nur zu einem Drittel ausgenutzt. Die meisten BesucherInnen kamen aus dem benachbarten Serbien und Mazedonien, einen kostspieligen Hotelurlaub konnten sich nur wenige leisten. Die Mehrheit fand private Unterkünfte und zog die Straßenimbisse den vorzüglichen, aber teureren Restaurants vor.

Von den 13.000 Beschäftigten, die das Hotel- und Gaststättengewerbe 1989 zählten, sind nurmehr 7.500 registriert. Die großen Hotels im „gesellschaftlichen Eigentum“ sind zwar bis heute bemüht, möglichst wenig Personal zu entlassen. Mit Löhnen von umgerechnet 150 bis 200 Mark im Monat für KöchInnen und KellnerInnen läßt es sich zumindest gut überleben. Überarbeiten muß sich in der Tat niemand, weil schlicht die Nachfrage fehlt.

Die Regierung in der Hauptstadt Podgorica hatte monatelang mit der Bundesregierung in Belgrad um Sonderkonditionen verhandelt. Doch der Vorschlag, die Visumpflicht zumindest für ganze Gruppen von TouristInnen aus Westeuropa abzuschaffen, wurde abgelehnt. Belgrad verfügte in diesem Sommer sogar eine Visumpflicht für MazedonierInnen.

Die montenegrinische Tourismusbranche umwarb aus dieser Notlage heraus mehr und mehr potentielle Gäste aus Osteuropa: aus Rußland, der Ukraine, der tschechischen Republik und Ungarn. Doch anders als die Montenegro-LiebhaberInnen aus Deutschland, die gern im privaten Auto über die dalmatinische Magistrale einreisten, sind diese Klientel auf Flugverbindungen angewiesen, falls sie nicht den beschwerlichen und langwierigen Landweg mit der Eisenbahn auf sich nehmen wollen. Das Wirtschaftsembargo verbot jedoch internationale Flüge in die beiden Zielorte Podgorica und Tivat, die damit nur von Belgrad aus mit der staatlichen jugoslawischen Linie JAT erreichbar waren. Mindestens 15 Flüge täglich wären nötig gewesen. Reaktion der JAT: „Nicht genügend Treibstoff. Gebt uns Treibstoff, dann fliegen wir für euch.“ Obendrein deklarierte die JAT diese Flüge als Charterflüge – zum doppelten Preis.

Montenegro erwog, eine eigene Fluggesellschaft zu gründen. Aber auch dieser Plan scheiterte. Beide internationalen Flughäfen (Podgorica und Tivat) gehören der staatlichen JAT, die auf ihr Monopol nicht verzichten will. Eher Rande beklagt die Tourismusbranche „unzutreffende Informationen“ in der Belgrader Presse. Montenegro sei als Urlaubsland zu teuer, hieß es dort, teurer als Griechenland, wo „unser in Freundschaft verbundenes Nachbarvolk“ doch auch besucht werden könne.

In Montenegro selbst nämlich „beginnen sich die Separatisten zu rühren“ – ein Seitenhieb auf die oppositionelle liberale Partei, die für ein unabhängiges Montenegro eintritt.