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Zu viele „Runzeln im Gesicht“

■ SPD-Bürgermeister beschimpfte Ausländervertreterin

Darmstadt (taz) – Es geschah am 7. November 1994 auf der Sitzung des Gemeindevorstands von Seeheim-Jugenheim bei Darmstadt. Bürgermeister Robert Müller (SPD), bekannt als Choleriker, rastete wieder einmal aus: Eine „Votzkuh“ und ein „Arsch“ sei die Vorsitzende des Kreisausländerbeirates von Darmstadt-Dieburg, Eva Kohlmannslehner (48) aus Schweden. Und die Dame habe „mehr Runzeln im Gesicht“, als er jemals „am Arsch“ haben werde.

Die Beigeordnete der Bündnisgrünen, Helga Feiß, warf Müller danach vor, nicht nur die gewählte Vorsitzende des Ausländerbeirates gröblich beleidigt zu haben. Seine inkriminierenden Äußerungen seien auch „frauenverachtend“ und eines Bürgermeisters unwürdig. Fleiß forderte von Müller eine Entschuldigung auf der nächsten Gemeindevorstandssitzung, mit der auch die Betroffene Eva Kohlmannslehner zufrieden gewesen wäre. Doch die Entschuldigung kam nicht – und Kohlmannslehner erstattete Strafanzeige gegen den Bürgermeister wegen Beleidigung.

Klage abgelehnt

Der Fall habe sich inzwischen zu einem „politischen Skandal von überregionaler Bedeutung“ entwickelt, konstatierte gestern die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen (AGAH), Ulrike Okenwa-Elem, auf einer Pressekonferenz in Darmstadt. Denn die Staatsanwaltschaft am Landgericht in Darmstadt hat es inzwischen abgelehnt, der Beleidigungsklage von Kohlmannslehner weiter nachzugehen.

Die Strafverfolgungsbehörde stellte das Ermittlungsverfahren gegen Müller mit der Begründung ein, daß „kein öffentliches Interesse“ an der Strafverfolgung des Bürgermeisters bestehe. Die Äußerungen von Müller seien in erster Linie auf ein „gestörtes persönliches Verhältnis zum politisch Andersdenkenden und auf einen Mangel an Streitkultur“ zurückzuführen. Diese Begründung, so Okenwa-Elem, sei „ein Schlag ins Gesicht der gewählten Vertreterin aller AusländerInnen im Kreis Darmstadt-Dieburg“. Und ein „Freibrief“ für zukünftige beleidigende Äußerungen.

Weil es in diesem Verfahren auch um die politische Kultur in diesem Lande gehe, hat Eva Kohlmannslehner, deren jüdische Eltern vor den Nazis von Dänemark nach Schweden flüchten mußten, eine sogenannte Gegenvorstellung gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft beantragt. Übrigens: Der inzwischen aus Altersgründen aus dem Amt geschiedene Müller wurde von der Gemeindevertretung zum „Ehrenbürgermeister“ gewählt. kpk

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