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Unwirkliche Flugblätter geistern durch die Stadt

■ Der Demo-Aufruf gegen die „Junge Freiheit“ ist gefälscht und denunziert weiter

Stellt euch vor, es ist Demo, und niemand nimmt's ernst. Da ruft jetzt ein Flugblatt zur Demonstration gegen die rechtsradikale Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) auf, und von den angeblichen Unterstützern weiß niemand von seinem Glück. Weder die Bündnisgrünen, noch die Jusos, noch die DGB-Jugend, noch die Junge Welt. Die Revolutinären Zellen (RZ), die auch auf dieser Liste stehen, waren bedauerlicherweise nicht zu erreichen. Selbst die Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes, die Edelweißpiraten, konnten sich beim besten Willen nicht daran erinnern, je ein solches Flugblatt verfaßt zu haben.

Ende letzter Woche ist das Flugblatt erstmals in der Mensa der Freien Universität (FU) gesichtet worden, dann tauchte es im Kulturzentrum Mehringhof und auf Bauwagen in der Nähe der Zimmerstraße (Sitz der JF) auf. Seit gestern klebt der Demo-Aufruf auch im Entree der taz.

Wer also war's? Die einzigen, die noch glauben, daß am Samstag um 13 Uhr in der Zimmerstraße demonstriert wird, sind die Redakteure der Jungen Freiheit selbst. „Es besteht kein Grund, das nicht ernst zu nehmen“, sagt Chefredakteur Dieter Stein.

Zeitgleich findet am Samstag in Rathenow eine Demonstration gegen die dortigen Neonazis statt, an der Berliner Antifa-Gruppen maßgeblich beteiligt sind. Martin Becker, Redakteur von dem in Kreuzberg erscheinenden Antifa-Infoblatt, wertet dies als Indiz, „daß das Flugblatt ein Fake ist“. Schon vor sechs Wochen geisterte ein Flugblatt durch die Szene, das sogar bundesweit verschickt worden ist.

Bei den Edelweißpiraten geht man davon aus, daß diese Flugblätter aus „Anti-Antifa-Kreisen“ kommen. Man hält es sogar nicht für ausgeschlossen, daß im Umfeld der Jungen Freiheit selbst diese Fälschungen entstanden sind. Schließlich sei im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf die damalige Druckerei des Blattes in Weimar ein Interview mit „Antifaschisten“ gefälscht worden. Stein bestreitet dies gegenüber der taz, räumte aber ein, daß die Interviewer unter dem Signum der Jungen Welt aufgetreten seien.

Stein dementierte die Vermutung, daß seine Zeitung hinter den Fälschungen stehe. Er wollte aber nicht mehr kategorisch ausschließen, daß die Urheber in rechtsextremisitischen Gefilden zu suchen sind. „Schließlich gibt es auch in der militanten Naziszene Leute, die uns als scheißliberal empfinden.“

Neben diesen offensichtlich gefälschten Flugblättern sind in letzter Zeit noch andere Pamphlete aufgetaucht, um Einzelpersonen oder ganze Gruppen des linken Spektrums zu diskreditieren. Darin hatten Antifa-Gruppen zum Boykott des deutschen Einzelhandels aufgerufen, und taz-Redakteure hatten zu einer „Anti-Kanaken-Party“ eingeladen sowie deutschnationale Kommentare verfaßt. Christoph Oellers

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