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Befruchtende Piekser

Vier Stunden Befreiung: Jan Fabres „Universal Copyrights“ zu Gast im Berliner Hebbel-Theater  ■ Von Arnd Wesemann

Jedes neue Theaterstück von Jan Fabre bedeutet neues Rezensentenglück. Klassiker wurden 1989 zwei Frankfurter Rezensionen zu Jan Fabre, dem heute 37jährigen flämischen Allroundkünstler: Die eine Kritik war übertitelt mit „Gestorben“, die andere mit „Das Theater lebt“. Die eine war von Peter Iden, der das Theater vorzeitig verließ, die andere von Gerhard Rohde, der Fabre gleich in den Kontext der gesamten Moderne stellte: von Maeterlinck bis Panamarenko. Diesmal verrissen nicht einmal die mißlaunigsten Kritiken Fabres jüngstes Opus „Universal Copyrights 1 and 9“. Man blieb standhaft und sinnierte über die „verplemperte“ Zeit. Dabei war die Brüsseler Uraufführung noch um eine Stunde länger. Fünfeinhalb Stunden.

Das Publikum hat den langen Abend mit Fabres Clowns, Skeletten, Tauchern, Vogelscheuchen, Bettlakengespenstern ganz locker genommen. Vielleicht nicht als Kunst. Recht laut gibt es das „weiße Album“ der Beatles, fast zum Mitwippen. Und dann ist da noch dieser seltsame, makabre Humor, der gar nicht zu Jan Fabre passen will. Nichts für Moralisten.

Humor beginnt in „Universal Copyrights“ mit einigen Clowns, die in aufwendigen Kostümen aufwendig geschminkt im Halbkreis sitzen und eine Zigarette nach der anderen rauchen. Gelegentlich macht einer von ihnen einen Clownswitz, Hölzchen fallen aus der stets verkehrt herum geöffneten Streichholzschachtel oder eine Banane liegt auf dem Boden, auf der natürlich kein Mensch ausrutscht. Das ist nicht umwerfend, aber plötzlich kichert jemand, man dreht sich um, hört, wie ein Zuschauer seiner Nachbarin flüstert, daß er „sein Lebtag noch nie über Zirkusclowns lachen konnte“.

Hier nun begehen sie Massenmord: Einer von ihnen, der sich im Kleiderständer am Kleiderbügel aufgehängt hat, biegt aus dem Drahtbügel ein fröhliches Herz, legt es einem anderen Clown um den Hals, zieht fest zu und schneidet dem Erdrosselten den Ausdruck von Glück aus dem Gesicht. Das machen alle nach, bis irgendwann „Helter Skelter“ ertönt, der Lieblingssong des Serienmörders Charles Manson. Dann klettern die letzten Überlebenden, Jacques und Albert de Groot als Zwillinge, auf Baywatch-Stühle, um sich gegenseitig ihre Einzigartigkeit als Serienmörder zu versichern (kein Serienkiller ließe sich je „Massenmörder“ nennen). Nun, da scheiden sich natürlich die Geister und erst recht, wenn die Wiederauferstandenen wild durcheinander gestikulierend in Geisterlaken gehüllt vor einem unsichtbaren Drachen hüpfend und kreischend die Erschreckten spielen – „Kindergeburtstag“ (Eva-Elisabeth Fischer in der Süddeutschen) oder „mutwilliger Kindergeburtstag“ (Manuel Brug in der Wochenpost), das ist hier die Frage.

Nur nicht die entscheidende: Jan Fabre mag es um einen kindlichen Blick auf das Sterben gehen, um Gewalt, um Kinderspiele, die immerzu mit „peng, du bist tot“ oder „pieks, du bist befruchtet“ enden. Es mag um diesen Kinderblick gehen, der sich in den Medien als dramatisierte Räuber- und Gendarmspiele mit Erotikeinlage fortsetzt und meist zu der zauberhaften Frage führt, ob Kinder nicht erst durch Medien zur infantilen Gewaltbereitschaft in Marterpfahl- und Doktorspielabenteuern neigen. Massaker, Menschenverachtung und Mord werden bei Fabre hübsch verkleinert auf einen mittelalterlichen Dance macabre, einen Totentanz mit Skeletten und Vogelscheuchen. Das entspreche doch genau der tiefen Sinnleere sogenannten Avantgardetheaters, dem „Versagen von Idealen und Ideologien“, der ewigen Wiederkehr stumpfen Vergnügens. Nicht einmal die berühmte formale Strenge findet sich bei Fabre, statt dessen eine zum Zerreißen gedehnte Spannung und dieses Wörtchen – Humor.

Fabre bezeichnet Massenmörder seit „Sweet Temptations“, seinem ersten Anarcho-Schauspiel von 1991, als „absurde Quälgeister“. Da sitzt eine Schar von Marinetauchern auf der Bühnenkante ganz vorn, läßt die Beine in die erste Reihe baumeln und raucht Zigaretten. Der Rauch wird durch die Schnorchel ausgeblasen. Umwerfend erst ist der Steptanz auf Taucherflossen. Und das soll Kunst sein, Theaterkunst; oder aber das Gegenteil: Endlich eine Befreiung von allzu vermessenen Ansprüchen an das Theater.

„Universal Copyrights 1 and 9“; Regie, Choreographie und Bühne: Jan Fabre; mit Sebo Bakker, Ennio Greco, Renée Coprij u.a.; Aufführungen: 6., 8. und 10. Dezember im Hebbel-Theater, Berlin

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