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Protestmarsch gegen Nigerias Militärdiktatur

■ Bei der größten Oppositionskundgebung in Nigeria seit Ken Saro-Wiwas Hinrichtung greift Polizei nicht ein. US-Vizepräsident schließt Ölembargo nicht aus

Lagos/Berlin (AFP/rtr/taz) – Aus Protest gegen die Hinrichtung des Schriftstellers Ken Saro-Wiwa und acht weiterer Bürgerrechtler vom Ogoni-Volk in Nigeria haben sich am Dienstag mehrere tausend Menschen in der südwestnigerianischen Stadt Ife versammelt. Zu der Kundgebung, die ohne Zwischenfälle verlief, hatte die Gruppe „Nationales Gewissen“ (NC) unter Gani Fawehinmi aufgerufen.

Fawehinmi, ein langjähriger und mehrmals inhaftierter Dissident, hielt eine leidenschaftliche Rede: Saro-Wiwa sei nicht umsonst gestorben, „denn aus seinem Blut wird der Baum der Freiheit sprießen“, sagte er. Die neun Bürgerrechtler seien „Opfer eines barbarischen Regimes, das Nigeria in die dunkle Nacht eines oligarchischen Feudalismus stürzen will“, hieß es auf Flugblättern der NC. „Nieder mit den Mördern von Ken Saro-Wiwa“, „Nein zur Militärdiktatur“, und „Demokratie jetzt“ forderten die Demonstranten auf Spruchbändern.

Es war die größte Kundgebung in Nigeria seit der Hinrichtung der Ogoni-Führer am 10. November. Die Polizei griff nach Angaben von Augenzeugen nicht ein. Zur gleichen Zeit beschäftigten sich jedoch Soldaten und Geheimpolizisten in der Nähe der größten nigerianischen Stadt Lagos damit, in das Haus des im Exil lebenden Schriftstellers Wole Soyinka einzudringen und es zu verwüsten. Soyinka gehört zu den prominentesten Kritikern des nigerianischen Regimes und hatte das Land Anfang 1995 verlassen.

Währenddessen verdichten sich die Anzeichen, daß es doch noch zu härteren internationalen Schritten gegen das nigerianische Militärregime kommen könnte. US- Vizepräsident Al Gore erklärte nach einem Treffen mit Südafrikas Präsident Nelson Mandela, alle Sanktionen gegen Nigeria müßten „multilateral sein, um wirksam zu sein“. Gore wollte auch das von Mandela verlangte Ölembargo gegen Nigeria nicht ausschließen. Möglicherweise unter dem Eindruck dieser Diskussion geht Nigerias Regierung jetzt in die Offensive. In einer gestern in Großbritannien veröffentlichten Zeitungsanzeige verteidigte sie die Hinrichtung Saro-Wiwas und verurteilte die „giftigen Erregtheiten“ der Weltöffentlichkeit. Ken Saro- Wiwa sei in Einklang mit nigerianischem Recht des Mordes schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt worden, seine Hinrichtung sei daher „ordentlich und verdient“ und Nigeria habe sich dafür nicht zu entschuldigen.

In Nigerias Hauptstadt Abuja verkündete die Regierung zugleich die Bildung einer Wahlkommission, eines Komitees zur Überwachung des Übergangs zur Demokratie und eines Ausschusses zur Schaffung neuer Bundesstaaten. Solche Schritte hat es in den letzten Jahren öfter gegeben, wenn die herrschenden Militärs den Eindruck einer politischen Öffnung erzeugen wollten.

Der EU-Ministerrat hatte am Montag einen Sportboykott und weitere Visabeschränkungen für nigerianische Regierungsangehörige beschlossen und vereinbart, nach den Botschaftern auch die Militärattachés aus dem westafrikanischen Land abzuberufen. Ein Test für die Entschlossenheit der EU könnte am Freitag kommen, wenn Rechtsanwälte in Großbritannien ein Berufungsverfahren für den von der Abschiebung bedrohten Flüchtling Abiodun Igbinidu anstreben wollen. Igbinidu, ein Mitglied der nigerianischen Oppositionsgruppe „Campaign for Democracy“, war im Juni nach Großbritannien gereist. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, und am Montag ordnete das britische Innenministerium seine „Rückführung“ nach Nigeria an. D.J.

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