: Abschied ohne Tränen
■ Mit dem Weggang von Chefredakteur Mathias Döpfner steht die "Wochenpost" erst mal führer- und konzeptlos da
Lausig kalt ist es am am Kottbusser Tor, die Kreuzberger Szene friert. Aber noch schlimmer ist die Eiseskälte, die ein paar hundert Meter weiter durch ein ordentlich beheiztes Bürohaus weht. In der Ritterstraße 3 ist es vor allem die Totenstille in fast allen Gängen und Büros, die einen frösteln läßt. Seit hier im Juni Tango seinen Geist aufgab und die Redaktion ihre Schreibtische räumte, herrscht nur noch auf einer Etage ein Rest von Leben – freilich nicht von der Art, wie man es sich in einer jungen hungrigen Zeitungsredaktion vorstellt. Auf den Schultern der Wochenpost-RedakteurInnen, die führer-, illusions- und konzeptlos ihre Weihnachtsausgabe vorbereiten, lastet eine ungewisse Zukunft. Ein neuer Chefredakteur ist ihnen versprochen worden, und im März sollen sie in ein anderes Gebäude umziehen – mehr wissen sie nicht.
Und hätte nicht vorgestern eine Vorabmeldung der taz für Handlungsbedarf gesorgt, dann würden der neue Wochenpost-Verleger Dietrich von Boetticher (53) und der noch amtierende Chefredakteur Mathias Döpfner (32) die rund 50 MitarbeiterInnen noch immer im dunkeln tappen lassen. So aber kam am Donnerstag wenigstens ein Hauch von Unruhe ins Haus, als die beiden Herren eilig in die Hauptstadt geflogen kamen, um sich in dürren Worten zu offenbaren. Er werde, bestätigte Döpfner, zum Jahresende seinen Posten verlassen und ein reizvolles Angebot bei Gruner+Jahr annehmen. Nach taz-Informationen möchte G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen, dessen Assistent er einst war, ihn zum (zusätzlichen) stellvertretenden Chefredakteur des Stern machen und hat auch bereits den Redaktionsbeirat davon informieren lassen. Chefredakteur Werner Funk dementiert allerdings heftig.
Für die Wochenpost-Redaktion, berichtete Döpfner der taz, sei die Nachricht von seinem Weggang ein „Schock“ gewesen. Wen die Nachricht tatsächlich geschockt hat, ist allerdings den eher sarkastischen Kommentaren der RedakteurInnen nicht zu entnehmen. Viele Tränen, so scheint es, werden dem gescheiten, aber leidenschaftslosen Musikwissenschaftler nicht nachgeweint. Mit kleinerem Zeitungsformat und größerer Unverbindlichkeit hatte er vergeblich versucht, die Auflage (offiziell gemeldet: 102.000) zu erhöhen.
Lustfeindlichkeit wie bei den Altlinken
Eine Wochenpost ohne Richtung und Standpunkt, ohne Farbe und Freude hinterlassen zu haben, wirft man ihm heute vor. Daß ausgerechnet der bekennende 68er- Hasser Döpfner die altlinke Lustfeindlichkeit wieder einführte, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie.
„Ja früher“, so fangen in der Wochenpost dieser Tage viele Gespräche an. „Früher“, so sagt es auch Starreporterin Jutta Voigt, „da gab es noch die gelungene Synthese zwischen Anspruch und Popularität.“ Gemeint sind mit diesem „früher“ nicht die Jahre in der alten DDR, sondern die Zeit nach der Wende, als der später von Gruner+Jahr ohne plausiblen Grund geschaßte Chefredakteur Matthias Greffrath ansteckende journalistische Aufbruchstimmung verbreitete. „Heute“, klagt Jutta, Voigt, „hat nicht nur das Unternehmen Leser verloren, sondern auch ich. Ich weiß nicht mehr, für wen ich schreibe.“
Daß dies anders werden soll, hat sich der neue Eigner Dietrich von Boetticher, der Gruner+Jahr 75 Prozent an der Wochenpost abkaufte, auf die Fahnen geschrieben, wenn auch, wie er im Gespräch mit der taz gestern einräumte, ohne festes Programm. Das will er erst mit einem neuen Chefredakteur erarbeiten, den er in Aussicht habe. Den Vertrag hofft er bis Neujahr unterschrieben zu haben. Vorerst hat der Anwalt und Multiunternehmer eine Unterstützungsaktion ganz anderer Art eingeleitet: Bereits zum zweiten Mal gab der Luchterhand-Literaturverlag, der ihm auch gehört, eine Anzeige in der mit solchen nicht gerade überfüllten Wochenpost auf. Andreas Odenwald
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