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Jesusfalle mit Methode

Neu aufgelegt: Léon Bloys Kritik der Gemeinplätze. Sie beweist nur erneut, daß der Katholizismus nicht sehr gut fürs Denken ist  ■ Von Peter Köhler

Hunde bellen, Rinder brüllen, Ziegen meckern, Enten schnattern, Menschen reden. Anfang dieses Jahrhunderts machte sich der Franzose Léon Bloy daran, dieses Gerede zu untersuchen und analysierte insgesamt 310 Schlagworte und Redensarten, vom überlieferten Sprichwort bis zur modernen Phrase: „Verantwortung tragen. Man trägt Verantwortung, wenn man andere zu ernähren hat: eine Frau, Kinder, eine Schwiegermutter, alte Eltern, die durchaus nicht sterben wollen und die man nicht einfach zum Abdecker schicken kann, ohne etwas an Ansehen einzubüßen.“

Léon Bloy durchschaut die Gemeinplätze, als wären sie aus Glas. Wer wie Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht, meint eigentlich: „Das ist mir schnuppe“, und wer sagt, daß er sich nicht besser machen will, als er ist, heckt in Wahrheit „auf der Stelle irgendeine Bosheit aus“.

Aber mit boshaften Wahrheiten und präzisen Formulierungen läßt es Bloy nicht bewenden. Er durchschaut die Gemeinplätze, doch trübt er sich selbst den Blick, weil er die katholische Brille aufhat. So denkt er beim „Feuer“, mit dem man spielt, gleich ans Höllenfeuer, beim „Weg“, den einer geht, sofort an den „Kreuzweg“, und „Geld“ ist ihm akkurat ein Symbol für den „Erlöser“, so daß die Redensart „Geld macht nicht glücklich“ prompt „für jeden Christen eine bis zur Gottlosigkeit kühne Behauptung“ ist – eine jedenfalls kühne Logik.

Die Jesusfalle, in die Bloy tappt, hat bei näherem Hinsehen Methode. Er will uns nämlich zeigen, daß in den Redensarten eine religiöse Wahrheit stecke und die ahnungslosen Leute im Grunde nichts anderes als christliche Ideen aussprächen. Manchmal fummelt er schon irgendwie so was wie eine christliche Offenbarung aus den Gemeinplätzen heraus, aber gewöhnlich gerät er nur, nach oft witzigem Beginn, ins sektiererische Abseits.

Die Klarheit der Gedanken leidet ohnehin, wenn man religiös ist; wobei Bloy dann, statt in Gemeinplätze, in Mystik flüchtet, „weil die Sprache ja dem Menschen gegeben wurde, um im Absoluten zu sprechen“, wie man „ja“ weiß; zum Beispiel geht es dann um „die ewige Bürgerin von Bethlehem, die dem Erlöserkind die Gastfreundschaft verweigert und die mystische Rose dem Nordwind preisgibt“.

Kein Dunkelmännertum ohne Sündenbock: Bloys Bösewicht ist der gemeine „Bürger“, der, aller Transzendenz beraubt, ganz im Diesseits lebt und in seinen niederen Geschäften aufgeht. „Dieses stinkende Tier“ ist ihm vor allem ein „Schwachkopf“, ein „Idiot“, eine „Kanaille“, ein „Schwein“ und „Schweinehund“, aber „kein Teil der Menschheit“, weshalb „Wesen, die nach dem Ebenbilde Gottes geformt sind, das Recht und die Pflicht haben, ihn mit allen erdenklichen Mitteln zu vernichten“.

Aber ein Christ hat wohl manchmal recht, aber niemals in den Gründen, und wenn Bloy fragt: „Worum handelt es sich bei allem, was der Bürger will oder tut, wenn nicht um die Leugnung des Wortes Gottes und der Kirche?“ so merkt der Leser, eigentlich ganz gegen den eigenen Willen, daß dieser Bürger auch eine gute Seite hat. Ganz anders als der Bürger ist die Lichtgestalt Léon Bloy beschaffen, denn sie hat „das Unglück, der menschlichen Rasse anzugehören und mit einer erhabenen Stirn ausgestattet zu sein, die unaufhörlich zu den Sternen aufblicken muß“.

Wer nicht zu den Sternen unaufhörlich hinaufglotzt, sondern sich um Irdisches kümmert, kriegt es mit Bloy zu tun. Die Wissenschaft ist „die Kreuzfahne der Schwachköpfe“, Mediziner sind „nützliche Idioten“ und ein Impfstoff eine „Gemeinheit“; die Aufklärer waren „das philosophische Gesindel des 18. Jahrhunderts“, und die Bartholomäusnacht hätte „einer der erfreulichsten Augenblicke der Geschichte Frankreichs werden können“, wenn sie wirklich so verlaufen wäre, wie die „Protestanten mit ihren Scheinwahrheiten“ behaupten.

Aber wer wird den Protestanten glauben, diesen „Beziehern von Millioneneinkünften, die von einem – calvinistischen oder lutherischen – Vorfahren im Blut aufgeschlitzter Katholiken zusammengerafft wurden. Das ist nämlich der Ursprung der großen protestantischen Vermögen“.

Eine der Lehren aus diesem Buch: Wenn man nicht in Gemeinplätzen spricht, wird die Rede also nicht unbedingt lieblicher. Im Gegenteil: Léon Bloy gelingt zwar kaum einmal ex negativo die Offenbarung des Christentums aus den Gemeinplätzen, läßt aber doch ex negativo erahnen, daß ein Gemeinplätze schwatzender Bürger einem denn doch lieber ist als ein fanatischer, sektiererischer Katholik und guter Christ. Hätte Bloy den lieben Gott einen braven Mann sein lassen!

Aber wer zuviel beweisen will, beweist eben gar nichts, vor allem, wenn man päpstlicher ist als der Papst.

Léon Bloy: „Auslegung der Gemeinplätze“. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen. Eichborn (Die Andere Bibliothek), 48 DM

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