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Bandmodell für das Ausstellungswesen

„The wonderful world that almost was“: Eine Paul-Thek-Retrospektive in der Berliner Nationalgalerie  ■ Von Jochen Becker

„Psychedelische Drogen waren für uns damals ein Kunstwerkzeug ... Das war eine internationale Sprache. Für kurze Zeit riß sie in den frühen Siebzigern die Barrieren der Kommunikation zwischen europäischen und amerikanischen Künstlern nieder.“ Ann Wilson, die mit dem New Yorker Paul Thek einige Zeit durch die Lande zog, spricht vom aufbrechenden Globetrotten und transnationalen Kollektivismus der endsechziger bis mittsiebziger Jahre.

Die wenigsten Arbeiten des Künstlers haben ihn überlebt: Bevor Paul Thek 1988 mit 54 Jahren an Aids starb, produzierte er zumeist auf Wanderschaft und vor Ort, etwa in Rom, Essen, Ponza, Köln, Stockholm, Luzern, Duisburg, Paris, Rotterdam, Manhattan oder Fire Island. In Europa bildete der New Yorker Künstler bald nach seiner Übersiedlung „The Artist's Co-op“, ein Bandmodell für das Ausstellungswesen. Sie nutzten das Amsterdamer Stedelijk Museum, Szeemanns documenta 5 in Kassel, das Walker Art Center Minneapolis oder die Biennale in Venedig als Werkstatt und Arena für ihre Installationen. Vieles wurde nach dem Abbau weggeworfen.

Die zumeist persönlich gefärbten Katalogbeschreibungen von befreundeten Kuratoren, Kritikern und Kollegen zeichnen das Bild einer rauschhaften Zeit, in der sich das meiste abseits des Kunstmarkts abzuspielen schien. In New York war es die Phase durchgeknallter Judson-Church-Performances, Aufführungen von Jack Smith' „Flaming Creatures“, der Rock-Clubs und des Living Theatre: die Blüte des Camps und einer in Gründung befindlichen queer nation. Für Thek wurden der damals noch als Geheimtip gehandelte Theatermacher Robert Wilson und dessen für das Genre ungewöhnlich bizarre Aufführungspraxis gleich in mehrfacher Hinsicht zum role model. So trat er 1971 nicht nur als Akteur in Wilsons Performance „Deafman Glance“ auf und erstellte für ein Nachfolgestück einen Gazevorhang mit Vulkanen und einem riesigen Dinosauriergerippe, sondern kopierte durch den Aufbau einer tingelnden und Szenarios erstellenden Künstlergruppe Wilsons Theatertruppe.

Nun gibt es nicht nur über Robert Wilson zahllose Geschichten, wie Künstler Ideen weniger berühmt gewordener Kollaborateure für ihr eigenes Fortkommen und ohne Quellenangabe ausnutzten. Wie so häufig in den euphorischen siebziger Jahren folgte die Desillusionierung um so heftiger: „Das ,Wir‘ [...] wurde ,Ich‘, als es um Dinge wie Publicity und Karriere ging“, beschreibt Ann Wilson ihren Bruch mit der Artist's Co-op. Die Gruppenarbeiten allein auf eine Person zu reduzieren, wie dies die großangelegte Thek-Retrospektive festzuschreiben sucht, spiegelt vor allem die merkantilen Maßstäbe des Kunstbetriebs wider: Aus einem Verbund werden einzelne herausgepickt, um so isolierte Positionen und Produkte besser vermarkten zu können. Indem die Retrospektive Theks ×uvre in ein biographisches Vorher und Nachher einbettet, wird eben diese Vereinzelung eines ursprünglich kollektiven Arbeitsprozesses festgeschrieben. Den Verweisen auf immer wiederkehrende Installationselemente in Theks ×uvre wie „The Tomb“ oder „Fishman“ steht eine Ausblendung der anderen Kollaborateure gegenüber, so daß Ann Wilson ihrerseits auf ein Bootsobjekt meint hinweisen zu müssen, welches sie seinerzeit beigesteuert hatte. Doch was nun genau der Anteil der Einzelnen am Arbeitsprozeß der Künstlerkooperative war, ist letztlich eine Frage der Verwertungslogik.

In Paul Thek fand die Kooperative ihren Sprecher. Er profitierte dabei ähnlich wie Joseph Beuys von seinem sozialen Umfeld. Auch die erdverhafteten Installationen und ihr katholisch fundierter Schamanismus zeigen erstaunliche Parallelen mit den Arbeiten des Düsseldorfer Kunstprofessors.

Theks individuelle Künstlerkarriere nimmt einen überproportional breiten Raum innerhalb der Ausstellung ein, blieb doch von den kollektiven Environments nur wenig übrig.

Noch in den USA stellte er neben Alptraumgemälden, die an Robert Longos Bilder erinnern, technoide „Meat pieces“ her. Diese Serie von fleischigen Körperteilen aus Wachs – eine Pyramide aus behaarten Hautlappen bestückt mit Geburtstagstortenkerzen, ein gehäuteter und blutüberströmter menschlicher Torso, ein Fleischstück in Warhols Brillo- Box, ein Fetzen Nilpferd in der Glasvitrine mit Kanälen nach außen – könnte Pate gestanden haben für David Lynchs archaischen Film „Wüstenplanet“. Und auch der britische Nachwuchskünstler Damien Hirst hat sich für seine längsgespaltenen Kühe bei Theks „technologischen Reliquien“ eine gehörige Scheibe abgeschnitten.

An „Robocop“ wiederum erinnern Theks Objekte aus verdrahteten Armen, hervorquellender Mechanik oder Fleischteilen in Plexiglasummantelung: Organisches Leben und Robotik zur Menschmaschine zwangsvereint – eine Kritik an der durchgreifenden Technisierung, die die eigene Faszination und alltägliche Verstrickung mit der Apparatewelt nicht verleugnen kann.

Während Thek seine frühe Schockersynthese aus Pop-, Körper- und Minimalkunst als Kultobjekte unantastbar in Vitrinen verschloß oder durch eine rote Museumskordel abschottete, umschloß die Artist's Co-op ihre BesucherInnen mit quasireligiösen Riten und Environments. Die sich über mehrere Säle erstreckenden Installationen waren wie begehbare Bühnenräume aufgebaut, gebettet in theatrales Licht und stimmungsvolle Sounds. Kerzen, Sand, Äste, Bänke, ausgestopfte Tiere vor gemaltem Wolkenhimmel belebten als Verweis auf Natur die Räume, die durch Konstruktionen wie Pyramide, Boot, Tatlins Turm und babylonischer Turm strukturiert wurden.

Wieder auf sich gestellt, wechselte Thek – gebremst durch die Abkehr von seinem europäischen Umfeld und die Folgen der HIV- Infektion – in den achtziger Jahren zu malerischen und skulpturalen Arbeiten. Die Galeriepräsentation von „A Lot of Little Paintings“ fand 1980 bei gedämpftem Licht statt, wobei die Leuchten an jedem goldgerahmten Gemälde befestigt waren. Um die neuwilden Figurationen genauer betrachten zu können, konnte man sich auf gedrungene Kinderstühle setzen.

Theks zahlreiche Versuche mit Arbeiten im öffentlichen Raum auf BesucherIn und BetrachterIn einzugehen, schlugen allesamt fehl. Der Vorschlag einer „Revised Arc“ durch Begrünung von Richard Serras umstritten monströser Stahlplastik „Tilted Arc“ in Form einer Spielwiese, den er mittels Leserbriefattacken in der New York Times lancierte, war im Rahmen einer aufgeladenen Debatte eher Populismus als Kritik.

Wird mit der Ausstellung nur mehr eine weitere Lücke in der zeitgenössischen Kunstgeschichtsschreibung geschlossen? An den quer durch den Raum gespannten Drahtseilen mit Fleischimitaten, dem unter einen Tisch gebundenen und von der Decke hängenden „Fishman“-Korpus oder in den Ecken liegenden Zeitungsresten lassen sich kaum mehr die im Katalog wiedergegebenen Environments erahnen, deren Bestandteile zumeist unwiederbringlich auf dem Müll landeten. Wie einst tingelt die Show durch Europa, doch die Musik kommt vom Band; das Arrangement bestimmt die Nachlaßverwaltung, die sich in der Kunst der Rekonstruktion üben muß. Insgesamt dominieren Objeke, die aus ihrem Kontext in der Installation herausgelöst nun eben wie Skulpturen wirken. Sie stammen aus illustren Sammlungen, die vom Erzbischöflichen Diözesanmuseum Köln bis zum Centre Pompidou geliehen wurden.

Theks freakige Gestalt erhascht man höchstens noch im Katalog oder auf Videoausschnitten, ausgestattet mit Faßbinder- fusseligem Bart, Stirntuch und Easy-Rider-Sonnenbrille. Die simple Gleichung: siebziger Jahre = Drogen / Band / Europa, achtziger Jahre = Aids / Vereinzelung / Rückkehr nach New York geht allerdings so glatt nicht auf. Denn schon 1967 begrub Thek mit „The Tomb (Death of a Hippie)“ eine Ära, deren Flower Power erst noch erwachsen sollte. Der vergammelt in einer Ecke auf dem Boden liegende Leichnam ist Theks Ebenbild.

Paul-Thek-Retrospektive ist bis zum 18. Februar 1996 in der Neuen Nationalgalerie Berlin zu sehen; anschließend in Barcelona und Marseille. Der Katalog erscheint im Richter-Verlag

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