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Zweideutige Anteilnahme des Chefs

Opel und VW führen „Rückkehrgespräche“ mit ehemals erkrankten Mitarbeitern und senken erfolgreich die Abwesenheitsquote. So sparen die Unternehmen Kosten in Millionenhöhe  ■ Von Barbara Dribbusch

Wer bei Opel in Rüsselsheim seinen Hexenschuß auskuriert hat, wird bei der Rückkehr ins Werk zum vertraulichen Gespräch mit dem Meister gebeten. Der Vorgesetzte plaudert über die Arbeit, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden und nach der Familie. Die neue Einfühlsamkeit hat Methode: „Durch die Rückkehrgespräche ist die Abwesenheitsquote deutlich gesenkt worden“, sagt Klaus Franz, Vize im Gesamtbetriebsrat des Werks. Dem harmlosen ersten Gespräch können härtere Töne folgen. Das sieht der sogenannte „Anwesenheits-Verbesserungs- Prozeß“ (AVP) des Werkes vor.

Im Mai diesen Jahres hat der von Geschäftsleitung und Betriebsrat ausgehandelte AVP begonnen. Denn eine Betriebsvereinbarung von 1993 schreibt vor, daß der Krankenstand in allen Werken bis zum Jahre 1997 auf 6 Prozent sinken muß. Sonst gibt es Abschläge beim Weihnachtsgeld. Die AVP-Methode: Je nach Häufigkeit werden die FacharbeiterInnen zu vier verschiedenen Rückkehr-Gesprächsstufen gebeten. Thema sind dabei nicht nur gesundheitliche Probleme.

Jede erkrankte MitarbeiterIn, die nach einer mehr als eintägigen Abwesenheit zurückkehrt, wird zu einem „Motivationsgespräch“, der Stufe I, gebeten. Auf den Dokumentationsbögen bei Opel ist dies die „grüne“ Stufe mit dem Symbol der „offenen Hände“. In dem Werk mit 13.000 Beschäftigten wurden in den ersten fünf Monaten des AVP immerhin 2.133 solcher Unterredungen anberaumt. Fehlt der Kollege innerhalb von neun Monaten ein zweites Mal, folgt Gesprächsstufe II. Als Symbol droht hier schon die „gelbe Karte“. In der Stufe II sind die Meister laut interner Schulung angehalten, den Rückkehrer unter anderem auf die Mehrbelastung hinzuweisen, die den KollegInnen durch die Abwesenheit entstehen. 550mal wurde innerhalb von fünf Monaten in Rüsselsheim die „gelbe Karte“ gezeigt.

Bleibt der Arbeitsplatz binnen neun Monaten ein drittes Mal leer, folgt die „rote“ Stufe III mit dem Symbol des erhobenen Zeigefingers. Der nächsthöhere Vorgesetzte kommt zum Treffen. Das verheißt nichts Gutes. In der „schwarzen“ Stufe IV, also beim viermaligen Fehlen innerhalb von neun Monaten, wird mit der Möglichkeit einer Kündigung gedroht. Das Symbol für diese Gesprächsstufe ist ein Paragraph, 36 Kollegen lud die Personalabteilung schon zum „schwarzen Gespräch“.

Betriebsrat Franz schwört auf den fürsorglichen Aspekt des Konzeptes. Das Wichtigste in den Gesprächsstufen sei nämlich die Frage, „was man denn am Arbeitsplatz ändern könnte, um die hohen Fehlzeiten zu vermeiden“. Der Betriebsrat kann dabeisein. Probleme mit dem Chef könnten in den vertraulichen Treffen genauso zur Sprache kommen wie beispielsweise starke Rückenbeschwerden oder Allergien, die auf einen verbesserungswürdigen Arbeitsplatz schließen ließen. In der vierten Stufe etwa werde KollegInnen mitunter auch zur Kur geraten. Die Zahl der fehlzeitenbedingten Kündigungen sei mit dem AVP denn auch deutlich zurückgegangen.

Viele ArbeitnehmerInnen empfänden das neue Programm als „demokratisierend“, versichert der Betriebsrat. Denn auch die KollegInnen ärgern sich über MitarbeiterInnen, die öfter durch Abwesenheit glänzen. Bisher werden nur die FacharbeiterInnen bei Opel Rüsselsheim so fürsorglich überwacht. „Bei den Angestellten gibt es Widerstände, das Konzept einzuführen. Die befürchten Gängelei.“ Auch im Opel-Werk Bochum konnte der AVP bisher nicht durchgesetzt werden.

Allzuviel Demokratisierung will die IG Metall im „Anwesenheits-Verbesserungsprozeß“ denn auch nicht entdecken. Nicht der fürsorgliche Aspekt, sondern der „psychische Druck“, unter den die Leute gesetzt würden, sei der entscheidende Aspekt der Rückkehrgespräche, rügt Axel Gerntke, zuständiger Sekretär beim IG-Metall-Hauptvorstand. „Es geht in erster Linie darum, Kosten zu sparen.“

Die Abwesenheitsquote in Rüsselsheim konnte immerhin von 9 Prozent im Jahre 1993 auf bisher 5,4 Prozent gesenkt werden. Jeder Prozentpunkt weniger bedeute jährliche Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe, erklärt Franz.

„Die Kosten der Fehlzeiten gehören zur Standortfrage“, sagt auch Manfred Kramer, Unterabteilungsleiter Personalbetreuung im VW-Werk Kassel mit 16.000 Beschäftigten. Dort läuft schon seit einem Jahr das Programm mit dem Motto: „ansteckende Gesundheit“.

Auch hier sind die „Rückkehrgespräche“ für jeden Erkrankten obligatorisch. Zu den konkreten Vorgaben, nach denen sich die ebenfalls vier Stufen richten, mochte Kramer nichts sagen. Die Abwesenheitsquote bei VW Kassel konnte solcherart von 5,6 Prozent im Jahre 1994 auf jetzt 4,5 Prozent gesenkt werden. Das bedeutet mehr als 15 Millionen Mark Einsparungen im Jahr. Das Programm wird vom Gesamtbetriebsrat mitgetragen.

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