: Miss Bomm versucht, hart zu bleiben Von Andrea Böhm
Es ist sechs Uhr abends, und die Feuerwehr ist wie immer am schnellsten. „Hi, Miss Bomm“, flötet ein gewisser Jeff von der örtlichen Feuerwehrgewerkschaft, „möchten Sie nicht wieder für unsere Weihnachtsparty für die Angehörigen tödlich verunglückter Kollegen spenden?“
Miss Bomm versucht, hart zu bleiben und kramt in ihrem Gedächtnis nach der passenden Ausrede. Es werden noch zahlreiche Anrufe folgen. Nur nicht frühzeitig schwach werden. „Tut mir leid“, flötet Miss Bomm also zurück. „Aber ich habe schon für die Polizeigewerkschaft und ihre Weihnachtsfeier für behinderte Kinder gespendet.“ Der Feuerwehrmann wünscht indigniert einen schönen Abend. Es klingelt wieder, und die Polizeigewerkschaft ist dran. Ob ich vielleicht 30 Dollar erübrigen könnte, um einem „Kind aus einer benachteiligten Familie“ die Teilnahme an einem Weihnachtsfest zu ermöglichen. Sorry, sagt Miss Bomm, „aber gerade hat die Feuerwehr angerufen ...“
Es ist jede Woche dasselbe – und vor Weihnachten ganz besonders schlimm. Gewerkschaften, Bürgerrechtsvereine, Obdachlosengruppen, Umweltschutzverbände, Kirchengemeinden, das Rote Kreuz, die Heilsarmee, Aidsorganisationen, Museen, think tanks und mindestens dreizehneinhalb Institutionen zur Krebsbekämpfung ringen um jeden Spendendollar – per Telefon oder per Post.
Gemeinnützige Vereine haben in den USA allein im letzten Jahr rund 14 Milliarden Spendenbriefe verschickt. Die allabendlichen Telefonanrufe werden nicht gezählt. Die US-Durchschnittsfamilie überweist pro Jahr rund 350 Dollar an organisierte Wohltäter. Nicht mitgerechnet sind Kirchenspenden, die in einem Land ohne Kirchensteuer enorm viel ausmachen. Bloß reicht das immer weniger in einem Land, in dem ein Haufen wildgewordener „Republikaner“ staatliche Sozialleistungen durch private Karitas ersetzen wollen. Ergo werden die Spendeneintreiber immer frecher.
Das Telefon klingelt. Jessica vom „Human Rights Campaign Fund“, einer Schwulen- und Lesbenorganisation, ist am Apparat und bedankt sich überschwenglich für meine letzte 50-Dollar-Spende für den Kampf gegen Homophobie und Intoleranz. Im nächsten Atemzug versucht sie mir, 300 Dollar zu entlocken. Miss Bomm gerät bei so viel Chuzpe kurz in Versuchung, sich erstens als heterosexuell und zweitens als geizig zu outen. Statt dessen handele ich Jessica auf 50 Dollar herunter und fühle mich plötzlich sehr weihnachtlich.
Beim nächsten Anruf meldet sich „Zacchäus“, eine Suppenküche und ambulante Klinik für Obdachlose in Washington. Sehr geschickt: Sie bieten erst Gottes Segen und dann mehrere Optionen: Für eine Spende von 35 Dollar könnte ich eine Mutter mit zwei Kindern einen Monat ernähren, für 25 Dollar die Behandlung eines Diabetikers finanzieren. Nur eine Variante zu wählen, kommt mir fast schweinisch vor. Miss Bomm entscheidet sich für die Mutter mit zwei Kindern. „God bless you“, sagt der Mann von „Zacchäus“ gleich zweimal. Das Telefon klingelt wieder. Miss Bomm kapituliert und hebt nicht mehr ab. Der Anrufbeantworter springt an. Meine Schwester will wissen, wo ich bin und was ich mir zu Weihnachten wünsche.
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