Haft für Wei

Chinas Justiz schickt den Bürgerrechtler Wei Jingsheng erneut für 14 Jahre hinter Gitter  ■ Aus Hongkong Catherine Sampson

Der wohl bekannteste chinesische Bürgerrechtler Wei Jingsheng ist gestern in Peking zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. In einem nur fünfeinhalb Stunden dauernden Prozeß, von dem ausländische Medien ausgeschlossen worden waren, wurde der 46jährige der „Verschwörung zum Sturz der Regierung“ für schuldig befunden. Angeblich soll er illegal Gelder gesammelt haben. Wei hat bereits mehr als 15 Jahre in Gefängnissen und Arbeitslagern verbracht. Auch die erneute Strafe zeigt, wie sehr die chinesische Regierung die Aktivitäten des Mitbegründers der chinesischen Demokratiebewegung fürchtet.

Zahlreiche westliche Regierungen verurteilten gestern das harte Urteil gegen den prominenten Dissidenten. Das amerikanische Repräsentantenhaus hatte die chinesische Regierung aufgefordert, Wei freizulassen. Auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel verlangte von Peking, das Urteil zu korrigieren.

Seit 1978 hat Wei nur sechs Monate in Freiheit verbracht. Am 1. April vergangenen Jahres wurde er erneut verhaftet, nachdem er sich mit einem US-amerikanischen Menschenrechtler getroffen hatte. Für seine Aussage, der Führer der chinesischen Kommunistischen Partei, Deng Xiaoping, verweigere China demokratische Prinzipien, wurde Wei bereits 1978 zu einer 15jährigen Haftstrafe verurteilt. Als er 1993 entlassen wurde, hatte der Bürgerrechtler Zwangsernährung und Einzelhaft hinter sich. Er gab an, im Gefängnis mit Hormonen gefüttert worden zu sein, damit die chinesische Regierung den ausländischen Medien das Bild eines gesunden Menschen präsentieren konnte. Die Zähne, die ihm während des Gefängnisaufenthalts ausgefallen sein, waren durch Prothesen ersetzt worden.

Wieder in Freiheit, wurde Wei sogar von zahlreichen Mitgliedern der Kommunistischen Partei, die durch das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 desillusioniert worden waren, als Held gefeiert und begrüßt. Dissidenten scharten sich um ihn und betrachteten ihn als „ihren“ Nelson Mandela. Er erkannte schnell, daß das Vertrauen vieler Arbeiter in Dengs kapitalistischen Reformkurs schwand.

Wei freundete sich mit vielen Dissidenten unter den zahlreichen unzufriedenen Arbeitern und Bauern an. Zwar gibt es keinerlei Beweise, daß er selbst zu umstürzlerischen Aktivitäten aufgerufen hat. Aber die KP befürchtete, daß der charismatische Führer die in den Massen schlummernde Unzufriedenheit mobilisieren könnte, sie fürchtete Demonstrationen wie im Jahre 1994. Gewiß ist, daß Wei spürte, daß die Macht der KP brüchig geworden war.

„Chaos ist möglich“, sagte er 1994, „dafür gibt es Anzeichen. 99 von 100 Funken kannst du austreten, aber wenn du den letzten nicht erwischst, entzündet er das Feuer. Noch ist die Lage für die Menschen zumindest in Peking erträglich. An anderen Orten ist sie es für viele nicht. Es gibt viele Arten, die Opposition zu organisieren, manchmal legal, manchmal illegal.“

Weis erneute Verurteilung mag der Welt außerhalb Chinas demonstrieren, wie wenig Fortschritte die Menschenrechtspolitik des Landes gemacht hat. Damals wie heute bezeichnete die „New China News Agency“ das Verfahren als „offen“, auch wenn nur wenige Auserwählte dem Prozeß beiwohnen durften. Damals wie heute dauerte der Prozeß gegen Wei nicht einmal einen Tag.