: Modrige Gestelle im Brackwasser
■ Als einziger Hamburger Film lief Christian Wagners „Transatlantis“ im Wettbewerb der Berlinale
In Hamburg scheint man Filme für die Filmkritik zu fördern. Bei der diesjährigen Berlinale gewann Paul Bowles Halbmond, ein Episodenfilm von Frieder Schlaich und Irene von Alberti, der mit Geld vom Hamburger Filmbüro produziert wurde, den Spielfilmpreis der Deutschen Filmkritik. Jenen Preis heimste 1989 noch Christian Wagner für Wallers letzter Gang ein und mauserte sich so zum Liebling zahlreicher Redaktionen. In diesem Jahr trat Wagner nun im Wettbewerb mit Transatlantis an – und kaum einer wollte noch zu ihm stehen. Kein Wunder, denn der einzige Film aus Hamburger Fördermittel, der am Rennen um die begehrten Bären teilnahm, macht sich an vielen Stellen angreifbar.
In Transatlantis sprechen die Hauptfiguren (Daniel Olbrychski als blutleerer Wissenschaftler und Birgit Aurell als zahme Schülerin) immer etwas zu gesteltzt daher, bei einer gleichzeitig denkbar simplen Handlung. Der Kameramann Thomas Mauch, der schon Wallers letzter Gang fixierte und Werner Herzog dienstbar war, gibt sich stets etwas zu selbstverliebt den Objekten hin. Manchmal wird die Geschichte gar für einen Moment angehalten und taucht in die recht mystische Seelenlandschaft des Helden ein. Dann stehen stumme Figurenguppen bedeutsam am fernen Horizont, oder der Opa trägt auf dem Kopf ein Vogelnest samt Eiern, aus dem blaue Spatzen schlüpfen.
In Anlehnung an ein literarisches Genre könnte man Wagners Haltung als „magischen Realismus“ bezeichnen, wenn nicht die modrigen Visonen der im Brackwasser gammelnden Installationen an Tarkowksij gemahnen würden. Die Dreharbeiten, die das Team auf über 5000 Meter nach Nepal führte und in dem Begleitfilm 32 Richtungen der Windrose von Guido Wenzel dokumentiert wurden, erwiesen sich als Extremtourismus mit geschulterter Kamera. Aber gerade was die filmische Fixierung von Landschaft angeht, an der Wagner besonders gelegen ist, enthüllt Transatlantis die Probleme des hiesigen Blicks auf Natur, der von den Bildern von Caspar David Friedrich, anderen Romantikern und Luis Trenker verstellt wird. So stellt sich bei all den Wanderern im Nebelmeer eine Gänsehaut ein, obwohl doch Wagner zu Recht darauf besteht, daß er diese Bilder in seiner Allgäuer Heimat vor den Bildern im Museum gesehen habe und sie sich von jenen wegnehmen ließe. Wagner versucht nun mit Transatlantis seine Landschaft der romantischen Konnotationen zu entkleiden und kann daran nur scheitern.
Ganz anders entsteht die Bergwelt des Himalaya problemlos als verwunschene, exotische Landschaft voll Staub, Sonne und Geröll. Dort oben spielen dann chinesische Soldaten eine Partie Billard, hier wird der Mensch in der Natur nicht stilisiert, sondern ironisch gebrochen. Am Ende verschwimmen beide, problematische Heimat und exotische Ferne, zu einem einzigen Bild. In weiter Ferne so nah.
Volker Marquardt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen