: Zeitung im Flux
■ Zeitungskunst-Ausstellung in der Weserburg zeigt die subversive Kraft des Layouts / Sonntag Eröffnung W
ußten Sie schon, daß alles Gedruckte gut ist?“ Nein? Dann vielleicht so: „Wußten Sie schon, daß alles Gedruckte schlecht ist?“
Was soll das Ganze, werden Sie fragen. Will die taz eine Grundsatzdebatte über journalistische Moral lostreten? Keine Sorge: Es handelt sich hier nur um Kunst. Die beiden Fragen zum Wert und Unwert von Gedrucktem inserierte nämlich der Künstler Dieter Roth vor einigen Jahren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und löste mit dieser Kunst-Aktion prompt eine erbitterte Diskussion in den Redaktionsstuben der Zeitung aus, die sich gegen den Abdruck der zweiten Anzeige - von der Schlechtigkeit des Gedruckten - lange Zeit wehrte.
Ab morgen zeigt eine Ausstellung der Bremer Weserburg, daß Künstler es nicht nur mit derartigen Provokationen, sondern durch unterschiedliche Verfremdungen verstehen, den Informations- (oder Desinformations)gehalt der Presse einer eindringlichen Kritik unterziehen. Die von Kurator Guy Schraenen im kleinen Raum der Abteilung „Bücherkunst“ zusammengetragenen Exponate kommen zwar auf den ersten Blick gänzlich unspektakulär und alltäglich daher. Dies aber liegt nur daran, daß man mit dem Erscheinungsbild von Zeitungsblättern wahrlich nicht die Ästhetik der Weltkunst verbindet. Was weit gefehlt ist. Denn je genauer man hinsieht, desto mehr konzeptuelle Wucht enthüllt sich hinter dem unscheinbaren Layout. Und es sind keine Unbekannten, die sich hier auf dem Niveau von Hobbycollagen austoben, sondern exponierte Künstler wie Ives Klein, Bazon Brock oder Christian Boltanski, die in der Ausstellung „Kunstzeitung – Zeitungskunst“ vertreten sind. Von Bazon Brock z.B. findet sich eine gemeinsam mit Bernhard Jäger und Thomas Bayerle gestaltete „Bloom“-Zeitung, die dem Aussehen der „Bild“-Zeitung gleicht und diese mit Schlagzeilen wie „Bloom will Kanzler bleiben“ oder „82jähriger Bloom spendete für ein Altersheim“ (natürlich incl. Foto des „Spenders“) die Aussagekraft des attackierten Blattes deutlich macht.
Ein weitaus stärkeres – weil verdecktes – Kritikpotential macht ein Exponat aus dem Argentinien der 70er Jahre sichtbar: Die Künstlerin Mirtha Dermisache ließ in dem diktatorisch regierten Land eine Zeitung aus lediglich abstrakten Zeichen drucken. Womit sie nicht nur auf die Desinformationsstrategien der zensierten Presse ihres Landes aufmerksam machte, sondern beim Regime auch prompt den Verdacht erweckte, bei den bedeutungslosen Zeichen handele es sich um einen Geheimcode, der der Verbreitung subversiver Inhalte diene. Neben solchen Beispielen, die laut Kurator Schraenen „den Zusammenhang von Ästhetik und Politik ganz direkt visualisieren“ zeigt die Ausstellung auch Positionen, in denen die Zeitung – üblicherweise ja ein Ort, in dem nur „über“ Kunst berichtet wird – selbst zum Kunstwerkwird. Das auf dem Ausstellungsplakat verwendete Mail-Art-Projekt der „South China Morning Post“ etwa ist solch ein Exemplar. Gestaltet wie das PR-Kiosk-Plakat einer Tageszeitung, enthält es nur den auf sich selbst verweisenden Satz „Artist makes Headlines“. Eine ähnlich direkte Transformation von Zeitung in Kunst nimmt Ben Vautier vor, als er 1991 einfach 30 Ausgaben von „Le Monde“ numeriert und signiert und damit aus der vorhandenen Massenproduktion ein eigenes Multiple herstellt.
Das Feld zwischen „reiner Kunst“ und Information dagegen besetzen die präsentierten Künstler unterschiedlich. Neben den diversen Fluxus-Zeitungen, die als Nachrichten zur Kunstwelt daherkommen, zeigt besonders der Amerikaner Allan Kaprow in seinem Projekt mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen spannenden Versuch, den Kontrast zwischen künstlerischem und informativem Anspruch sichtbar zu machen: Am 20. März 1981 ließ er drei Fotos viermal in unterschiedlichem Format und mit stets anderen Bildunterschriften in den verschiedensten Rubriken des Blattes abdrucken. Wozu der Katalog der Bremer Ausstellung vermerkt: „Man kann sich leicht die Verwirrung der getreuen Leserschaft vorstellen, die erst in der nächsten Ausgabe über das künstlerische Konzept aufgeklärt wurde.“
Apropos Katalog: Guy Schraenen, der mit „Zeitungskunst – Kunstzeitung“ mittlerweile die 13. Ausstellung im Rahmen der „Bücherkunst“ in Bremen betreut, zeigt sich hier wieder einmal als Garant für ein bis ins letzte ausgefeiltes Konzept. Statt nämlich irgendein Abbildungs- und Werkverzeichnis in Buchform zu präsentieren, gewannen er und Museumsleiter Deecke die Syker „Kreiszeitung“ dafür, sich als Ausstellungskatalog zur Verfügung zu stellen. Und so ist nun die Ausgabe des Blattes vom 12.12.95 – neben dem ganz normalen Nachrichtenbetrieb – Seite für Seite mit Abbildungen der Ausstellungsexponate gespickt, und unter der Rubrik „Kultur“ ist ohne weiteren redaktionellen Kommentar Schraenens Katalogtext zu lesen. Während der Ausstellungsdauer wird also die Zeitung als kostenloser Katalog verteilt – danach wandert sie als eigenständiger Beleg-Katalog dann in die großen Museen der Welt. Dazu ein augenzwinkernder Thomas Deecke: „Die Vorstellung, im Centre Pompidou etc. zu landen, war übrigens ein entscheidendes Argument, das die Zeitung zum Mitmachen bei diesem Projekt bewegte.“ Wer wollte ihr das verdenken.
Moritz Wecker
„Kunstzeitung – Zeitungskunst“ im Neuen Museum Weserburg, Eröffnung: Morgen, 11.30 Uhr.
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