■ Ökolumne
: Baldrian für die Wirtschaft Von Edda Müller

Schon jetzt ist es – überspitzt gesagt – schneller und leichter, die Genehmigung für den Bau einer Raffinerie zu erhalten als für eine Tankstelle. Aber es soll noch besser kommen, denn Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt sorgt sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland. 1994 hatte er eine Kommission einberufen, die unter ihrem Vorsitzenden Schlichter einen Bericht zur „Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren“ erarbeitete. Sein Staatssekretär Ludewig (vormals Bundeskanzleramt) leitete anschließend die Arbeitsgruppe aus Regierungsvertretern sowie Parlamentariern der Regierungsfraktionen, die die Vorschläge bewertete. Herausgekommen sind Hausaufgaben für die Bundesumweltministerin, die diese nun fristgerecht zu erledigen hat. Das Immissionsschutzrecht soll geändert werden und das Wasserrecht. Planfeststellungs-, Genehmigungs- sowie Verwaltungsverfahrensrecht müßten verschlankt werden.

Kernstück der „Reformen“ ist ein nachfragegerechtes Menü für die Genehmigung von Industrieanlagen. Die Betreiber zukünftiger Industrieanlagen sollen ihr Genehmigungsverfahren nach eigenem Gusto auswählen können. Diese „Flexibilisierungen“ soll die Wirtschaft in Schwung bringen, ohne daß die Umweltstandards gesenkt werden.

Doch die Reform wird weder die erhoffte Vitaminspritze für die Wirtschaft sein, noch wird es gelingen, die Verfahrensbeschleunigungen und Erleichterungen ohne Einbußen für die Umwelt umzusetzen. Statt dessen wird sie die bekannte einschläfernde Wirkung von Baldrian haben. Die erneuten Änderungen im Umweltrecht und insbesondere die Notwendigkeit zwischen verschiedenen Verfahrensoptionen wählen zu müssen, wird vor allem kleine und mittlere Unternehmen zusätzlich lähmen. Sie fühlen sich schon heute mit dem Umweltrecht überfordert. Nun sollen sie zusätzlich Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen sie kaum überblicken können. Folge: weitere Verunsicherung.

Bei den Großunternehmen zeigt die Praxis hingegen schon jetzt ein hohes Interesse an vollem Bestandsschutz für teure Investitionen sowie am Frieden mit den Nachbarn. Nicht selten beteiligen diese Unternehmen deshalb auch im „vereinfachten Genehmigungsverfahren“ freiwillig die Öffentlichkeit. Solange Verstöße gegen Umweltschutzvorschriften entdeckt und sanktioniert werden können, wird das Interesse dieser Unternehmen an einer Flexibilisierung der Genehmigungsverfahren gering sein.

Die größte Gefahr der Vorschläge ist aber das Anwachsen des Vollzugsdefizits in den personell „verschlankten“ und überlasteten Genehmigungsbehörden. Wenn Unternehmen merken, daß die Vollzugsbehörden mit der Nachkontrolle bereits errichteter Anlagen nicht zu Rande kommen oder die Umweltbehörden gegenüber der Drohung von Arbeitsplatzvernichtung und Abwanderung zu schwach sind, um eine Stillegung einer Anlage durchzusetzen, dann allerdings wären Investitionshemmnisse beseitigt; der Umweltschutz im Interesse der Allgemeinheit und nicht nur der Wirtschaft allerdings auch.

Natürlich ist es Zeit, daß der Bundeswirtschaftsminister etwas für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft tut. Dafür ist allerdings mehr, und nicht weniger, Umweltschutz nötig. Modernisierungs- und Innovationsimpulse gingen in den letzten Jahren nicht von der Wirtschafts- und der Forschungs-, sondern von der Umweltpolitik aus. Der Umwelttechnikmarkt, auf dem Deutschland weltweit Marktführer ist, wurde nicht durch Flexibilisierung des Umweltrechts, sondern durch klare Vorgaben und Standards geschaffen.

Die Zukunft gehört rohstoff- und energiesparenden, umweltgerechten Produkt- und Verfahrensinnovationen. Der richtige Weg dahin ist die ökologische Steuerreform. Wenn Unternehmen ein eigenes Interesse an der Vermeidung und Minimierung von Umweltbelastungen haben, dann – erst dann – können zeitaufwendige Genehmigungsverfahren und personalintensive Vollzugskontrollen entbehrlich werden.