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Wo liegt der Präsident?

■ Für Friedhofflaneure gibt es jetzt hübsche Wegweiser zu den Grabstätten Berühmter

Es zeugt keineswegs von bizarrer Perversion, vielmehr von exquisiter Kennerschaft, wenn Menschen in ihrer Freizeit über Friedhöfe flanieren. Im besten Fall hat man eine kunstvoll gestaltete Parklandschaft, prunkvolle Grabstätten und klingende Namen zu bewundern. Im Bremer Fall freut man sich über eine kunstvoll gestaltete Parklandschaft und prunkvolle Grabstätten – wenn man sich zum Beispiel auf dem Riensberger Friedhof ergeht. Jetzt haben Bremer Friedhofflaneure die Chance, auch ein wenig von den Geschichten kennenzulernen, die hinter den (mäßig klingenden) Bremer Namen stehen, hinter den Biermanns, Feldmanns und Freudenthals. Stadtgrün Bremen, das ehemalige Gartenbauamt, hat soeben zwei kleine, hübsche Broschüren über den Riensberger und den Osterholzer Friedhof herausgebracht, die zu jedem VIP unter den Bremer Toten eine Kurzbiografie anbieten.

Auf der Suche nach Prominenz ist man schnell über den Osterholzer Friedhof gehuscht: Sieben Namen werden genannt, über Bremens Landesgrenze hinaus sind vielleicht Carl Borgward und der Flugpionier Georg Wulf bekannt. Immerhin 61 „Gräber bekannter und berühmter Personen“ zählen die Verfasser dagegen auf dem Riensberger Friedhof. Ganz überwiegend handelt es sich um Kaufleute und Fabrikanten wie Zigarren-Biermann, Reeder Crüsemann, Konsul Hackfeld, Schoko-Hachez oder Senatoren und Bürgermeister wie Spitta, Smidt und Kaisen. In Riensberg liegt aber auch der andere Flugpionier, Heinrich Focke. Weserkorrektor Franzius, Sterngucker Olbers (1758-1840!) und Gustav Pauli (Kunsthalle Bremen) sind weitere ehrfurchteinflößende,wenn auch nicht weltbewegende Namen. Und berühmte Frauen? Stücker drei gruben die Verfasser (Uta Müller-Glaßl und Frank Glaßl in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv) aus, eine Pädagogin namens Heineken, die Schriftsstellerin Magdalena Melchers spätere Pauli („Sommer in Lesmona“) und die Abstinenzlerin Ottilie Hoffmann.

Wohl gerüstet streift man mit dem Heftchen über den Friedhof und findet mit etwas Mühe sogar den womöglich größten Toten Bremens, der dieser Tage von Wolfgang Schäuble und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit einem Kranz geehrt wird: Karl Carstens (vielleicht erinnert man sich: von 1979 bis 1984 Bundespräsident) fand 1992 seine letzte Ruhestätte im Riensberger Familiengrab.

Gemein, aber ganz in einer schlechten Tradition: Der von einem unerbittlichen Schicksal geschundene, von der postumen Rezeption gründlich übersehene Bremer Dichter Friedo Lampe kommt zwar auf einem Riensberger Grabstein, nicht aber im neuen Friedhofsführer vor. Eine Erwähnung hätte der Arme verdient, obwohl seine sterblichen Überreste, wie der Grabstein aufklärt, in Klein-Machnow bei Berlin beigesetzt wurde. Dort war Lampe 1945 versehentlich erschossen worden. BuS

Die Broschüren zu den Friedhöfen in Osterholz und Riensberg bekommt man bei der Friedhofsverwaltung für zwei Mark, eine Investition ohne Reue.

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