: Kampf um ein Erbstück des Osmanischen Reiches
■ Eritrea und Jemen führen Krieg um eine winzige Inselgruppe im Roten Meer
Berlin (taz) – Eine winzige Inselgruppe mitten im Roten Meer ist zum Zankapfel zwischen Eritrea und Jemen geworden – und damit zu einem afrikanisch-arabischen Konflikt. Am Montag besetzten Truppen aus Eritrea die Insel Djebel Zukur, größter Bestandteil des etwa 50 Inseln umfassenden Hanish-Archipels, und nahmen 180 Soldaten des Jemen gefangen. Jemen antwortete darauf mit heftigen Bombenangriffen durch seine Luftwaffe, die derzeit aus sechs einsatzfähigen Flugzeugen besteht. Die UNO, Frankreich und Ägypten riefen jetzt zu Verhandlungen auf.
Eritrea und Jemen befinden sich an gegenüberliegenden Seiten des Roten Meeres. Die Hanish-Inseln liegen an einer etwa 70 Kilometer breiten Stelle fast genau in der Mitte, was sie strategisch bedeutsam macht. Ägyptens Regierung hat sich besorgt geäußert, daß der Konflikt die Schiffahrt durch den für die Weltwirtschaft sehr wichtigen Suezkanal beeinträchtigen könnte.
Ohne den Suezkanal hätten diese eigentlich unbewohnten und ziemlich felsigen Inseln, auf denen höchstens Fischer und Schmuggler mal Station machen, niemanden je interessiert. Wie der französische Historiker Jean-Louis Peninou in einer demnächst erscheinden Ausgabe der Eritrea-Zeitschrift Selam darlegt, wurden die Inseln nach dem Bau des Suezkanals 1869 wichtig, als das Osmanische Reich – das damals beide Küsten des Roten Meeres beherrschte – einer französischen Firma die Erlaubnis zum Bau von drei Leuchttürmen auf dem Archipel erteilte. Daß Italien Ende des 19. Jahrhunderts Teile der afrikanischen Küste besetzte und die Kolonie „Eritrea“ ausrief, änderte daran ebensowenig wie die Etablierung britischer Herrschaft im arabischen Hafen Aden auf der anderen Seite des Roten Meeres. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Osmanische Reich aufgelöst wurde, blieben die Hanish-Inseln herrenlos: Weil sowohl Großbritannien wie auch Italien sie beanspruchten, wechselten sich die beiden Länder und einige andere europäische Mächte beim Leuchtturmbetrieb ab.
Bis 1986 hielten somit Privatfirmen die alten Leuchttürme in Gang – zuletzt ein noch von den Briten beauftragtes, in Dschibuti ansässiges französisches Unternehmen. Die Anrainer Äthiopien und Nordjemen begnügten sich mit formalen Ansprüchen. Versuche einer genauen Grenzziehung schlugen fehl: Üblicherweise wird bei der Festlegung von Staatsgrenzen in engen Gewässern eine Mittellinie gewählt – diese würde aber den Löwenanteil des Hanish-Archipels Jemen zuschlagen und dazu die zweitgrößte Insel teilen. So wurden von beiden Seiten Fakten geschaffen. Jemen baute auf der jetzt von Eritrea eroberten Insel Djebel Zukur einen eigenen Leuchtturm und erteilte 1989 für das Gebiet kurzzeitig Lizenzen an zwei US-Ölmultis, die jedoch nichts fanden.
Äthiopien engagierte sich weniger, denn es kämpfte an der Küste gegen die eritreische Unabhängigkeitsbewegung EPLF. Die aber baute in den 80er Jahren eine eigene – inzwischen ins Museum gewanderte – improvisierte Flotte auf, für die die vielen kleinen Inselchen im Roten Meer eine willkommene Rückzugsbasis darstellten. Nach ihrem endgültigen Sieg über Äthiopien 1991 übernahm die EPLF auch die äthiopische Kriegsmarine.
Nach der Unabhängigkeit Eritreas 1992 wurde der Versuch einer Verhandlungslösung mit dem Jemen abgebrochen: Die diesbezüglichen Dokumente blieben unbeachtet in den äthiopischen Regierungsarchiven zurück. Erst im November 1995 vereinbarten die Regierungen Eritreas und Jemens, irgendwann Gespräche zu führen.
Mit seinem Einmarsch so kurz nach dieser Vereinbarung versucht Eritrea jetzt offenbar, Fakten zu schaffen. Für Jemen kommt dies ungelegen, denn seine Grenzen sind fast nirgends genau festgelegt. Der eritreische Angriff erfolgte knapp zwei Wochen nach dem Einmarsch saudiarabischer Truppen in ein anderes umstrittenes Grenzgebiet. Dominic Johnson
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