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Eine Frage der Ehre

Das Frauen-Fußballteam der USA, heißer Gold-Kandidat für Atlanta, liegt im Streit mit dem Verband  ■ Von Rainer Hennies

Die Werbekampagnen tönten laut und aggressiv. Man akzeptiere zwar den Fußball als Weltsport, aber das Frauen-Nationalteam werde es dem Rest der Welt grausamst klarmachen, daß der Weltcup auf ewig in die USA gehöre, ließ die Firma Nike, einer der Großsponsoren des US-Soccer-Verbandes, verlauten. In Fernsehspots erklärten die Spielerinnen: „Wir sind Fleisch und Blut. Wir gehören zusammen. In guten und in schlechten Zeiten. Bis daß der Tod uns scheidet – oder der Weltmeistertitel.“ Diese fast sakrale Eingeschworenheit hängt derzeit am seidenen Faden. Wenige Tage bevor Trainer Tony DiCicco die 22 Kandidatinnen benennen soll, die am 4. Januar wieder ins permanente Trainingscamp in Sanford bei Orlando, Florida, einziehen, hat es mächtig gekracht zwischen einem Großteil der Spielerinnen und ihrem Arbeitgeber, dem Fußballverband. Es geht um harte Dollar. Alarm beim wohl professionalistischsten Frauenfußball-Nationalteam der Welt. Den WM-Titel gab es 1991 in China. Im Sommer in Schweden reichte es nur zu Bronze. In Atlanta, wo Frauenfußball erstmals olympische Medaillendisziplin ist, muß es mit Heimvorteil unbedingt wieder Gold werden.

Aber neun Spielerinnen haben die Verträge für 1996 abgelehnt. In Frage steht neben der Existenz eines goldträchtigen Teams damit die Fußballzukunft bei den Frauen in den USA. Zweifelsohne würde olympisches Gold einen neuen Boom auslösen in einem Land, in dem es bereits über sechs Millionen Fußballerinnen gibt, die ein Marktpotential bieten wie nirgendwo anders auf der Welt.

Vor diesem Hintergrund gewinnen die Erwartungen der Nationalspielerinnen an Bedeutung. Die „unzufriedenen Neun“ wissen und nutzen das. Michelle Akers etwa, die 29jährige Rekordtorschützin (92 Länderspiele), Carin Gabarra (94), US-Kapitänin Carla Overbeck (76), Christine Lilly (98), Stürmerin Mia Hamm (97), Torhüterin Briana Scurry (27), Tisha Venturini (50), Julie Foudy (75) und Joy Fawcett (81). Die Situation ist so gespannt, daß Trainer DiCicco, der die Interessen der Spielerinnen in den nächsten Tagen beim Verband vertritt, bis auf weiteres mit der Gegenseite Stillschweigen, ein „Media-Embargo“, wie er es nennt, verabredet hat, um die Atmosphäre nicht noch weiter anzuheizen.

„Es geht uns nicht um höhere Gehälter“, sagt Michelle Akers. „Wir erwarten nur mehr Fairneß. Das ist eine Frage der Ehre.“ Auslöser des Streits ist das aktuelle Angebot vom 1. Dezember, mit dem der Verband die Optionen der im September abgelaufenen 95er Verträge wahrnehmen möchte. „Wir sind im Oktober, November und Dezember ohne Gehalt gewesen. Die neuen Verträge sollten vier Tage später wieder zurück sein, ohne Gelegenheit, die Konditionen mannschaftsintern zu beraten. Wir haben deshalb nicht unterschrieben.“ Generalsekretär Hank Steinbrecher reagierte sofort und entschlossen. „Die Angebote sind vom Tisch.“ Ohne gültigen Vertrag dürfe ab sofort keine Spielerin mehr das Trainigscamp betreten. Dem Trainer räumte er jedoch ein, „wenn er es unbedingt will, diese Leute gegen einen Tagessatz bei Länderspielen einzusetzen“.

Knackpunkt für die Profi-Spielerinnen ist, neben den drei Monaten unbezahltem Urlaub, die Prämienregelung. Denn ein Bonus ist ausschließlich für Olympia-Gold vorgesehen. „Wir wollen ein komplettes Prämiensystem, das auch Silber und Bronze belohnt.“ Akers und ihre Teamgefährtinnen fühlen sich als gebrannte Kinder, nachdem sie schon für WM-Bronze 1995 nichts bekommen hatten, obwohl zumindest eine entsprechende Erwartungshaltung existiert habe. Der Spielerinnen Pech: Sie waren zu gutgläubig. So kann Steinbrecher kontern: „Wir hatten die Titelverteidigung im Visier. Ich belohne keine Mittelmäßigkeit.“ Pressesprecher Tom Lange hat das inzwischen abgeschwächt. Man habe eine Medaille erwartet, zum Beispiel Bronze. „Diese Erwartung wurde erfüllt. Einen Bonus kann man aber nur fordern, wenn man besser ist. Das sagt bereits der Begriff.“

Steinbrecher zeigt sich ohnehin maßlos enttäuscht. „Wir haben dem Team ein großartiges Angebot gemacht. Ich glaube nicht, daß Verbesserungen noch möglich sind. Kein Fußballverband der Welt investiert soviel wie wir in seine Frauen.“ Immerhin verschlingt das Programm WM-Gold '95 und Olympia-Gold '96 sowie die Bewerbung zur WM 1999 gut 3,4 Millionen Dollar an Gehältern, Marketing- und Verwaltungsausgaben. Neben einem Grundhonorar von monatlich 2.000 bis 4.000 Dollar je nach Status hat der US- Kader gutdotierte Werbeverträge und ist von den Lebenshaltungskosten befreit.

Michelle Akers bestätigt: „Der Verband hat viel für uns getan. Aber auch wir haben lange Zeit große Opfer gebracht. 1991 noch wurden wir für zehn Dollar am Tag Weltmeister, denn wir spielen Fußball, weil wir diesen Sport lieben.“ Vertragsangebote zu diskutieren sei jedoch ein gutes Recht. „Wir wissen, daß Fußball ein Geschäft ist“, sagt die Stürmerin und fordert: „Der Verband muß von seinem hohen Roß herunterkommen und uns als ernsthafte Partner akzeptieren.“ Man dürfe so kurz vor dem Ziel, auf das man seit Jahren hinarbeite, nicht alles hinwerfen.

Für sich und ihre Gefährtinnen hat Akers inzwischen zwei Privat- Coaches engagiert, um für den Fall einer Rückkehr fit zu sein. „Ich habe schließlich keine Lust, bei Olympia nur Zuschauerin zu sein.“ Trainer DiCicco zeigt Zuversicht, obwohl ihm die Zeit unter den Nägeln brennt.

Weniger wegen des Datums 4. Januar, sondern eher wegen der Vorbereitung, in der es noch gegen alle Olympia-Konkurrenten geht: Nach der Brasilien-Tour im Januar werden Weltmeister Norwegen, Europameister Deutschland, EM- Vize Schweden, Asienmeister China sowie die Olympiateams aus Dänemark und Japan zu Testmatches erwartet.

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