: Gartler, Züchter, Veteranen
■ Skandal beim "Börsenblatt": Chefredakteur Egel soll gehen. Merke: Du darfst Kriegsromancier Buchheim nicht "Täter" nennen
Vor aller Augen und doch völlig unsichtbar blüht unter der richtigen eine Subkultur, in Druckerzeugnissen zum Beispiel, die vereinsmäßig herumgehen und gern auch verschenkt werden. Auf Wiedersehen! heißt es beim Metzger, wenn man die Debreciner eingepackt hat. Es blüht! ganzjährig im Fachorgan für den Gartler, und in der Rammler Revue erfährt der Züchter alles über das deviante Paarungsverhalten Belgischer Riesen.
Auch das Börsenblatt des deutschen Buchhandels gehört zu diesen subkulturellen Fanzines: Es verfügt über eine ergebene Gemeinde, die 6.500 Träger des Börsenvereins darunter, aber wer sich nicht zufällig verändern und auch nicht unbedingt wissen will, welche Ladenhüter wann um wieviel rabattiert sind, kann mit der Altpapierheftung beim besten Willen nichts beginnen. Was dem einen sein Rammler, ist dem anderen die Preisbindung. Wenn der Börsenverein also nicht gerade beschäftigt ist, Annemarie Schimmel zur Friedensfürstin zu krönen, begnügt er sich damit, die weinglänzendsten Momente von Vereinstreffen im Bild festzuhalten. Bei diesem lummerlahmen Börsenblatt herrscht derzeit panische Aufregung. Der Vorstand des Börsenvereins möchte den Chefredakteur Jan R. Egel möglichst rasch vom Vereinsleben ausschließen. Am heutigen Freitag wird man sich noch mal zusammensetzen und die Abwicklung besprechen.
Egel ist erst seit März im Amt und schon sehr, sehr unbeliebt, und gar nicht mal weil er vorher beim Randgruppen-Blatt Praline gewirkt hat. Herr Egel hat sich etwas ganz und gar Ungehöriges herausgenommen. Druckte nämlich von Matthias Wegner, der sonst als Hamburger Kulturkorrespondent der FAZ tätig ist, einen Beitrag, in dem Kriegsberichterstatter Lothar-Günther Buchheim das Recht bestritten wird, sich, wie in dem Roman „Die Festung“ (erschienen im Verlage Hoffmann und Campe), als Opfer zu feiern: „In Wahrheit vertrat er die Sache der Täter.“
Einen derart mutigen Angriff auf einen WK-II-Teilnehmer hätte Wegner in der FAZ niemals wagen können, weil es die alten Kameraden in Redaktion und Leserschaft überfordert hätte.
Herr Egel war eben entschlossen, Buchkonzernen den ihnen „gebührenden Raum“ im Börsenblatt zu verschaffen, hatte eine Stelle für neue Medien besetzt, dem der Jungen Freiheit sehr gewogenen Vereinskollegen Herbert Fleissner ziemlich viel Ehre erwiesen, „die Dinge entwickelten sich positiv“ – und dann dieser Fauxpas.
Als Egel sich auch noch vier Wochen Zeit ließ, bis er die Antwort aus dem Verlag druckte, war man bei Hoffmann und Campe „durchaus vergeltungsbereit“: „Solange Herr Egel dort den Chefredakteur gibt“, hieß es in einem Brief aus Hamburg, „inserieren wir nicht mehr.“
Jetzt ist der Vereinsfrieden in Gefahr, die Zukunft aber auch. Wenn sie ihn rausschmeißen, sagt der Schriftführer, soll der Artikel über Buchheim bloß nichts damit zu tun haben. Aber wann hätte es je einen derart ungewöhnlichen und auch noch berechtigten Text im Börsenblatt gegeben? Jan R. Egel begibt sich damit der historischen Chance, ein Held zu werden. Lieber bleibt er Vereinsmeier, und das Börsenblatt fusioniert mit der Rammler Revue.
Willi Winkler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen