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„Kein Dialogpartner für kurdische Interessen“

■ In den kurdischen Provinzen ist sie stärkste Kraft, im Parlament ist die „Demokratische Volkspartei“ aber nicht vertreten. Eine bittere Niederlage, sagt ihr Kandidat Sungur Savran

taz: Von türkischen Kommentatoren wird nunmehr die Forderung der Kurden nach mehr Rechten vom Tisch gewischt: Schaut die radikalen Kurden kamen gerade auf vier Prozent der Wählerstimmen. Wird die kurdische Frage zu einem marginalen Problem?

Sungur Savran: Die Kurden haben bei diesen Wahlen durchaus ihre Interessen zum Ausdruck gebracht. In sechs Provinzen ist die Hadep erste Partei geworden. Sie hat in einzelnen Provinzen über 50 Prozent der Stimmen erhalten. Und dies trotz der Repression. Das Militär hat sich an einigen Orten der Wahlurnen angenommen. Eine Wahlkommission ist sogar deshalb zurückgetreten. Wegen der antidemokratischen Zehnprozenthürde haben wir jetzt die Situation, daß die Kurden nicht im Parlament vertreten sein werden.

Die Hadep ist ja ein Wahlbündnis mit kleinen türkischen sozialistischen Parteien eingegangen. Während die Partei in Kurdistan hohe Stimmenanteile erhielt, hat sie im Westen der Türkei, insbesondere in den großen Städten schlecht abgeschnitten. Muß man nicht von einer großen Niederlage der türkischen Linken sprechen?

Ja, diese Einschätzung ist richtig. Falls nicht größere Wahlmanipulationen im Westen erfolgt sind, ist es eine schwere Niederlage der türkischen Linken. Ich glaube, zwei Momente haben eine Rolle gespielt. Zum einen war die Linke für Jahrzehnte außerhalb der parlamentarischen Politik gedrängt und sie mußte sich nun binnen 20 bis 25 Tagen im Bündnis mit der Hadep auf eine Wahl vorbereiten. Zum anderen hat die nationalistisch-chauvinistische Stimmung in der Kurdenfrage auch die Arbeiter im Westen stark beeinflußt.

Mit dem Wahlergebnis kann doch die künftige Regierung recht einfach legitimieren, daß sie auf „Terrorismusbekämpfung“, auf die militärische Option im kurdischen Konflikt, setzt.

Mit diesem Wahlergebnis werden sie den Anschein erwecken, daß die Kurden im Rahmen des bestehenden Systems zufrieden sind. Das neue Parlament wird eine Weile als Kriegsparlament arbeiten und den Krieg in den kurdischen Provinzen fortsetzen. Doch es ist der Weltöffentlichkeit nicht verborgen geblieben, daß die Hadep in den kurdischen Provinzen die meisten Stimmen erhielt. Der Widerspruch zwischen der Kriegspolitik und diplomatischen Erfordernissen wird weiterbestehen. Eine bittere Folge der Wahl ist, daß im Parlament kein Dialogpartner zur Verfügung steht, der die kurdische Interessen wahrnehmen könnte. Im Konflikt gibt es jetzt nur die türkische Regierung und das Militär auf einer Seite und die kurdische Guerillabewegung PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) auf der anderen Seite.

Es zeichnet sich ab, daß die Islamisten von der Regierung ausgeschlossen werden und eine rechtsbürgerliche Koalition zustande kommt. Kann von einer relativen Stabilität, die allerdings den Status quo im Kurdenkonflikt fortsetzt, die Rede sein?

Die Türkei ist nach diesen Wahlen gelähmt. Die Bildung einer Koalition wird nicht einfach sein. Eine Koalition zwischen DYP und der Anap reicht noch nicht für eine absolute Mehrheit. Es kommt hinzu, daß alsbald ein strenges Austeritätsprogramm in Gang gesetzt werden muß. Streiks wie in Frankreich sind in naher Zukunft nicht ausgeschlossen. Für uns waren die Wahlen ein Beginn. Unser Bündnis mit der Hadep wird auch nach der Wahl weiterbestehen.

Sungur Savran ist Ökonom. Er wurde von der „Demokratischen Volkspartei“ (Hadep) als Kandidat in Izmit, einer Industriestadt im Westen der Türkei, aufgestellt

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