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Rußlands Truppen wüten in Gudermes

■ Tschetscheniens zweitgrößte Stadt wird wieder aus Moskau kontrolliert. Die russische Regierung verweigert Verhandlungen mit den Unabhängigkeitskämpfern

Grosny/Moskau (AP/AFP) –Die russischen Truppen haben am Montag die zweitgrößte Stadt der Kaukasusrepublik Tschetschenien wieder unter ihre Kontrolle gebracht. Nach Angaben des russischen Generals Anatoli Schkirko wurden mindestens 267 Einwohner getötet. Der prorussischen Regionalverwaltung zufolge wurden mehr als 1.000 Bewohner verletzt. Etwa jedes dritte Haus wurde zerstört. Augenzeugen berichteten, die letzten Unabhängigkeitskämpfer hätten die Stadt bereits vor mehreren Tagen verlassen. Dennoch hätten die russischen Truppen Gudermes weiter beschossen.

General Schkirko sagte am Montag abend, mehr als 300 tschetschenische Kämpfer seien in Gudermes ums Leben gekommen und 400 verwundet worden. Die Zahl der Todesopfer in den eigenen Reihen gab das Moskauer Innenministerium mit etwa 70 an. Die russischen Truppen riegelten die Stadt ab, auch Hilfsorganisationen wurde der Zugang verwehrt. Eine Sprecherin des Roten Kreuzes in Moskau sprach von einer entsetzlichen Lage in Gudermes. Die Blockade verstärkte die Befürchtung, daß es in der Stadt zu einem Blutbad gekommen sein könnte wie im April in der Stadt Samaschki. Damals hatten sich Soldaten an der Bevölkerung für Verluste in den eigenen Reihen gerächt. Mehrere hundert tschetschenische Unabhängigkeitskämpfer hatten am 14. Dezember strategisch wichtige Punkte der Stadt Gudermes eingenommen, darunter das bis zuletzt umkämpfte Bahnhofsgelände.

Auch in anderen Teilen Tschetscheniens dauerten die Kämpfe an. Nach Angaben des russischen Innenministeriums kamen allein am Weihnachtstag acht Soldaten bei 18 Angriffen der Rebellen ums Leben. Der stellvertretende Ministerpräsident der von Rußland eingesetzten Regierung, Abdula Bugajew, äußerte am Montag abend die Hoffnung, daß sich die Partisanen freiwillig aus Atschchoi-Martan und Shali zurückziehen werden. Das blutige Drama von Gudermes dürfe sich dort nicht wiederholen. Der russische Innenminister Anatoli Kulikow lehnte Forderungen nach der Ausrufung des Notstands in Tschetschenien ab. Außerdem kündigte er an, die russische Regierung werde nicht mehr mit den tschetschenischen Rebellen verhandeln. „Dafür haben wir jetzt den legitimen Regierungschef Doku Sawgajew, der jetzt die Unterstützung von 65 Prozent der tschetschenischen Bevölkerung hat“, sagte Kulikow im russischen Fernsehen. „Gespräche mit den Anhängern von Dudajew sind nach den Ereignissen in Gudermes unmöglich geworden“, fügte er hinzu.

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