70 Jahre Knef: „Hier steh ich, eure Hilde“

„Ob es anstrebenswert ist, ein Star im fast schon musealen Sinne zu sein, weiß ich nicht“, schreibt Hildegard Knef in ihrer Autobiographie, dem „Geschenkten Gaul“ – Selbstermächtigung als Schriftstellerin und Rechenschaftsbericht eines Lebens in einem. Ein solcher Star aber war und ist sie: Schauspielerin von Ufa-, Defa- und Hollywoods Gnaden, Diseuse mit übernatürlich gewölbten Kunstwimpern, launisch, spröde, lakonisch, ein Pfiff auf schnöde Ideale der Natürlichkeit – „die größte Sängerin ohne Stimme“, wie Ella Fitzgerald fand; erfolgsorientiert außerdem, stets bereit, sich auch in wenig günstigen Lagen nach dem Ideal ihrer Ziele zu formen, aber Zeit ihres Lebens auch darauf angewiesen, mit den Wünschen und Widerständen des Publikums im Dialog zu bleiben.

Daß es nicht immer nur die Erfolge waren, die in aller Öffentlichkeit verhandelt wurden, verbindet sie mit Harald Juhnke, dem anderen großen Populärentertainer einer Ära, in der die Kunst des (zeitweiligen) Scheiterns noch mit einem gewissen Glitzern honoriert wurde: das bessere Erbe des Boulevards. Wie Juhnke verfügt Hilde Knef über die Credibility einer von Rückschlägen begleiteten Karriere – nebst zwangsläufig erworbener Sprach- und Schlagfertigkeit, gemeinhin gern als „Mutterwitz“ bezeichnet (vor allem, wenn man aus Berlin kommt). Anders als Juhnke aber schaffte sie es als schwächliches, kränkelndes, doch aufgewecktes Kriegskind, sich vom Berliner Entlein zum Broadway-Act zu mausern – wenn auch um den Preis eines dem Star-System geschuldeten Mißverständnisses: „Knef-Doppelgänger-Preisausschreiben werden veranstaltet, Mädchen tragen meine Frisur, Fetischisten klauen meine Wäsche aus Garderoben und Hotelzimmern, eine New Yorker Modelagentur wählt mich zur Frau, die in den USA Europa am besten vertritt ...“

„Die Knef“ war in Amerika als eurodeutsche Ikone eingekauft, eine Marlene Dietrich in spe, Greta Garbo in Reserve – ausbaufähig, aber mit unbestimmtem Einsatz. „Hollywood“ sagt auch prompt erst mal nein: Zu ungeklärt ihr Verhältnis zur deutschen Vergangenheit (ihre erste Liebe, als Teenager, war ein Nazi- Filmboß). Daß Hildegard Knef 1946 ihre erste große Rolle in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ hatte – als Verkörperung der sexy deutschen Trümmerfrau – ist nicht von entscheidendem Gewicht. Enttäuscht kehrt sie nach Europa und in die restaurationsbereite Bundesrepublik zurück.

Von da an ging's bergauf. Allerdings um den Preis, daß Hildegard Knef in den Heimatfilm gerät – und ins Melodram. 1950 spielt sie, womöglich im Irrglauben, Deutschland sei Hollywood, in „Die Sünderin“, 61/2 Sekunden verschämte Postkriegs-Nacktheit. Ein Skandal heute schwer nachfühlbaren Ausmaßes, der à la longue mit einer zweiten, aus dem Nähkästchen gezauberten Karrierestufe beantwortet wird: Knef goes Chanson. Knef als deutsche Françoise Hardy (mit Texten von Boris Vian!), Knef als Autorin eigener Texte, Knef als Herrin ihrer Produktion: „Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke“, „Wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal“, „Ich möcht am Montag mal Sonntag haben“ und, vor allem: „Für mich soll's rote Rosen regnen“. Frei übersetzbar mit: „Love me, please love me“.

Seither hat Hilde Knef über 300 Chansontexte geschrieben – zumindest mengenmäßig vergleichbar mit dem Aufkommen Bob Dylans. Sie war (als Hildegard Neff) im Musical „Silk Stockings“ ein gefeierter Broadwaystar. Sie hat in England und Frankreich „gedreht“. Sie hatte Erfolge und Mißerfolge mit ihren Chansontourneen. Sie hatte – dritte Karriere! – ihren größten Hit als Autorin mit dem „Geschenkten Gaul“, der zu Beginn der siebziger Jahre Grass, Walser und Simmel auflagenmäßig auf die Plätze verwies. Sie hat mit 42 noch ihre erste und einzige Tochter Christina zur Welt gebracht. Sie hat als Krebskranke „Das Urteil“ geschrieben, ein Buch, das aus der Position des gekränkten, vom Schicksal bestraften Stars geschrieben sein mag, aber in die melancholischen Siebziger gehört wie Fritz Zorns „Mars“.

Daß „Mars“ zur seminaristischen Pflichtlektüre geworden ist, „Das Urteil“ aber nicht, gehört zu den Ungerechtigkeiten des hiesigen Kanons. Hilde Knef – wie immer selbstbezogen, hellsichtig, gelegentlich auch blind ihr Leben verlaufen sein mag – ist in Deutschland immer ein wenig der Star at the wrong time at the wrong place geblieben. Oder umgekehrt.

Sie selbst wußte es, als sie auf ihrer letzten großen Tournee 1981 ins Weite der wenig ausverkauften Hallen sagte: „Ich hoff auf etwas Milde, hier steh ich, eure Hilde“. tg

Zum Siebzigsten von Hildegard Knef ist bei A-Verbal Berlin ein Bild-Text-Band erschienen: „O-Töne. Für mich soll's rote Rosen regnen“ (190 S., 49,80 DM). Eastwest hat unter dem gleichen Titel einen Gesamtüberblick über das Chanson-Werk in 7 CDs herausgebracht. Foto oben: Ullstein