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Kanther will mitlesen

■ Die Bundesregierung plant, nicht kontrollierbare Verschlüsselungsverfahren in Datennetzen zu verbieten

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser. Wenn es ihr paßt, greift die Bundesregierung gern auf Lenin zurück. Bürgerinnen und Bürger sollen zwar Daten austauschen dürfen, aber bitte nur, wenn Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste mitlesen können.

Eine umfangreiche Gesetzgebung regelt in der Bundesrepublik den Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis. Seit Jahren fordern die Christdemokraten die Möglichkeit, auch privaten Wohnraum überwachen zu dürfen. Eine Forderung, der sich die Sozialdemokratie angeschlossen hat. Die Liberalen ließen parteiintern zu diesem Thema abstimmen. Mitte Dezember gaben sie schließlich das Ergebnis bekannt: Fast zwei Drittel der Mitglieder stimmten für den Großen Lauschangriff. Dem weiteren Eingriff in die Privatsphäre steht damit nichts mehr im Wege: Innenminister Kanther hat bereits die entsprechende Gesetzesinitiative angekündigt.

Im Schatten der medienträchtigen Auseinandersetzung um die klassischen Wanzen sind Gesetzgeber und Regierung aber ebenso fleißig dabei, weitere Überwachungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Sommer setzte die Bundesregierung eine neue Fernmeldeüberwachungsverordnung in Kraft. Sie verpflichtet sämtliche Betreiber öffentlicher Fernmeldeanlagen, Strafverfolgern und Geheimdienstlern nicht nur Zugang zu ihren Netzen zu schaffen.

Ins Visier der beamteten Lauschstrategen sind jetzt auch die Verschlüsselungsverfahren gerückt, auf die Netzbetreiber keinen Einfluß mehr haben. Etwa die Verschlüsselungssoftware PGP („Pretty Good Privacy“), die den Usern von Mailboxen als elektronischer Briefumschlag dient. PGP kann gratis aus dem Internet geladen werden. Unter http://rschp2 .anu.edu.au:8080/crypt.html ist alles über das Programm zu erfahren, dessen Codes auch die besten Rechner nicht knacken können. Es funktioniert, ohne daß Absender den befugten Empfängern ihren Schlüssel übermitteln müssen – keine Chance, die Botschaft aus der Leitung zu fischen.

Nicht nur deutsche Beamte werden bei solchen Aussichten nervös. Wie in den Vereinigten Staaten schon lange wird auch in Europa über Verbote oder die ausschließliche Zulassung solcher Verfahren beraten, die den Geheimdiensten eine Hintertür zum Mitlesen offenhalten. Alle Strafverfolgungsbehörden fordern einen solchen speziellen Zugang zur Entschlüsselung. In den USA gilt kryptographische Software als sensitive Technologie, die strengen Exportbeschränkungen unterliegt. In der Russischen Förderation wurden Anfang April kurzerhand per Jelzin-Erlaß Herstellung und Anwendung von Verschlüsselungsvorrichtungen ohne Lizenz verboten.

Ähnlich ist die rechtliche Situation in Frankreich. Wer Nachrichten chiffrieren will, muß eine Genehmigung einholen, die Privatpersonen nicht erteilt wird. Auch in den liberalen Niederlanden wurde versucht, die Verschlüsselung nur nach der Registrierung der verwendeten Schlüssel zu erlauben. Nach massiver öffentlicher Kritik ist der Gesetzentwurf zurückgezogen worden.

In der Bundesrepublik erwog das Innenministerium schon 1993 die Enführung einer ähnlichen Genehmigungspflicht. Die Idee wurde verworfen, da sich Wissenschaftler und Vertreter der Industrie einig waren, daß eine staatliche Kontrolle jederzeit unterlaufen werden kann. Ein Ende der Debatte bedeutet dies nicht. Bundesinnenminister Manfred Kanther warnte Mitte diesen Jahres: „Es besteht die Gefahr, daß der Strafverfolgung künftig ein erheblicher Teil des bisherigen Sachbeweises verlorengeht.“ Auf den „Problembereich“ Verschlüsselung weist auch ein Arbeitskreis im Justizministeriem in einem geheimem Bericht hin.

Ventiliert werden die Überlegungen über „gesetzgeberische Maßnahmen“ derzeit im Bonner Innenressort. Dort wird gegenwärtig ein Bericht verfaßt „zur Gefährdung des Informationsaufkommens der Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden durch den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren in Telekommunikation und Datenverarbeitung“. Vorgeprescht ist der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Erwin Marschewksi. Er hat ein Verbot von „Krypto-Geräten“ gefordert.

Argumentiert wird wie in der Auseinandersetzung um den Großen Lauschangriff mit dem Organisierten Verbrechen. Das gelte es zu überwachen, ihm soll der Cyberspace versperrt werden. Und wenn der Hinweis auf krimminelle Banden nicht verfängt, werden die Mailboxen neonazistischer Gruppen angeführt. Wer möchte denen nicht das Handwerk legen?

Übersehen wird dabei, daß die großangelegte Überwachung der Telekommunikation weltweit das Paradefeld der Geheimdienste ist. Ob die National Security Agency in den Vereinigten Staaten oder der Bundesnachrichtendienst in Pullach bei München, beide halten sie ihren elektronischen Staubsauger in den Äther. Mit aufwendigen Programmen betreiben sie im leitungsungebundenen Fernmeldeverkehr die elektronische Schleppnetzfahndung. Mit sogenannten Hit-Wörtern, Stimmprofilen oder festgelegten Datensätzen filtern die millionenteuren Anlagen Informationen aus den immensen Datenflüssen.

Der wahre Verlierer in diesem Kryptokrieg droht die nach dem Fall der Mauer ohnehin schon krisengeschüttelte Branche der Schlapphüte zu werden. Ein guter Grund eigentlich, Verschlüsselungsprogramme zu propagieren. Wolfgang Gast

W.Gast@Link-B36.berlinet.de

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