Zwischen den Rillen: Vom Umgang mit Strandgut
■ Eine Form reist durch die Welt: Urban Dub vom „WordSound“-Label
Dem in Brooklyn ansässigen Label WordSound ist es mit seiner Handvoll bisheriger Veröffentlichungen gelungen, sich an der Grenze zwischen den Genres Dub und TripHop als Definitionsmacht zu etablieren. Die Leistung dieses losen Verbandes von Musikern ist in diesem Sinn vergleichbar mit der des New Yorker Wu-Tang-Clans. So wie dieser seit gut zwei Jahren das HipHop-Geschehen beherrscht – durch einen einheitlichen, in sich aber sehr differenzierten Grundsound und durch die lancierten Issues, die das Leben der Clanmitglieder in einer Sphäre zwischen Italo-Western und Kung-Fu-Filmen phantasieren – so schickt sich WordSound an, einen Sound mit einem Labelnamen und einem Arbeitszusammenhang zu verknüpfen.
Allerdings für ein ungleich kleineres Marktsegment. Daß irgendeine WordSound-Platte einmal Platin schaffen wird, ist nicht zu erwarten – Wu-Tang- Mitglieder, die nicht mindestens das erreichen, dürften bei Fans, in der Familie und Nachbarschaft arge Probleme bekommen. Der schnöde Mammon interessiert WordSound nicht. Strictly independent spricht man in den „Communiqués“ genannten Presseinfos hauptsächlich von der Abneigung gegenüber allem, was nach Busineß riecht.
Was ist WordSound-Musik? Der Bezug zur Dub-Geschichte wird durch den Labelnamen gewährleistet, der sich auf den Grundsatz der Rastafaris bezieht, nach dem Kommunikation nicht allein durch ratio-bestimmtes Sprachbenutzen, sondern durch sämtliche über den Wortsinn hinausgehenden Konnotationen und Klänge stattfinden kann.
Musikalisch wird dieser Bezug durch eine durchgehende Langsamkeit und einen sehr tiefen Baß verankert. Andere Versatzstücke, wie die typische Synkopierung, verhallte Rimshots, die wiederholte Anrufung der Rastafaris, finden sich eher vereinzelt. Stimmen kommen wenn dann nur als kurzer Sample oder zum Beispiel als ein eingespielter Filmdialog vor.
Ist das noch Dub? Es ist eine Art von Dub, der seine urbane Herkunft nicht durch ein Zurückholen seiner geschichtlichen Ursprünge meistern will. Überhaupt geht es nicht mehr um Ursprünge und „Wurzeln“. Was im HipHop verbal als Bewältigung der Situation zwischen Inner City und Banlieue stattfindet, ist bei WordSound als Zerfallsmoment in die Musik eingelassen.
Darin unterscheidet sich WordSound auch grundsätzlich von einer anderen Art von Metropolen-Dub. Nämlich der, die diesseits des Atlantiks in London von Adrian Sherwoods On- U-Sound-Label geleistet wird. Während Sherwood mit immer noch wachsender Professionalität am Mischpult auf eine Ebene gelangt ist, die das jamaikanische Erbe einem Swingin' London assimiliert hat, steht man in Brooklyn vor einem Haufen fragmentarisierter, durch die Welt gereister musikalischer Formen. Und wieder die Frage: Ist das noch Dub? Vielleicht hören sich die Ergebnisse nur so wie Dub an, weil die Produzenten gar nicht anders können, als ganz langsam mit dem Strandgut umzugehen. Die haben ja auch noch ihr Leben zu meistern. Vielleicht kommen daher die seltsamen Pausen in den Stücken, als müßte man erst mal verschnaufen. Brooklyn ist Crooklyn.
Die verschiedenen dem Label assoziierten Acts treten auf der Compilation „Certified Dope Vol. 1“ als Konsortium auf. Bisher nie gehörte Namen sind vereinigt mit für Dub-KennerInnen nicht unbekannten Produzenten wie Loop, Dr. Israel, DJ Olive und – als prominenter Gast – Bill Laswell. Laswells Projekt „Automaton“ steuert das konventionellste Stück bei. Es wirkt fremd inmitten der schwer verhangenen, dunkel eingefärbten Tracks der anderen Künstler.
Das ist insofern interessant, als sich Laswell, der zusammen mit Sherwood ganz oben in der Dankesliste steht, an seiner Homebase Brooklyn Nachbarn bekommen hat, die wohl dieselbe Sprache sprechen, aber etwas anderes meinen. Eine andere Umlaufbahn, ein eigener Dreh. Verzaubert.
Der Beitrag von Spectre ist verzaubert – „jinxed“, wie es auf dem Cover angemerkt ist. Hinter dem Projektnamen Spectre verbirgt sich der WordSound-Gründer S. H. Fernando Jr. – kein Unbekannter. Er schrieb das Buch „New Beats“ und war regelmäßiger Autor des wichtigen HipHop-Magazins The Source.
Sein Soloalbum geht in die Details, wo die einzelnen Stücke der Compilation einen ersten Überblick geben. Das Stück „The Sound“ zum Beispiel. Es setzt ein mit einem ansteigenden Streicherglissando, das in Schönheit stirbt. Dann ein geloopter Gitarrentriller, in den sich Interferenz-Geräusche und herumschwirrende Synthietöne mischen. Aus der Tiefe kommt die Rhythmussektion aus Ravels „Bolero“, stellenweise unterstützt mit einem dazu gemischten Beat. Ein Vokalsample, das den Stücktitel sagt. Abbruch mit herumschwellenden Baßtönen. Dann nichts als ein Monolog, der sich anhört wie Brando in „Apocalypse Now“. Dann wieder einsetzender Ravel bis zum Ende.
Zu verstehen ist da nichts. Pulp Fiction, tiefergelegt. Dub Fiction. Es gibt wenig in der derzeitigen Musik, das mit derartiger Konsequenz Aussagen über ihre Möglichkeiten macht. Das sollte man nicht versäumen. WordSound behauptet von sich selbst, ein „Guerilla Think Tank“ zu sein. Die Geschichte lehrt, daß so etwas schnell wieder verschwindet. So tief die Spuren auch sein mögen, die hinterlassen wurden. Martin Pesch
Crooklyn Dub Consortium: „Certified Dope Vol. 1“
Spectre: „The Illness“ (beide WordSound/Efa)
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