Der König der „Groundhopper“

Fußballfan Carlo Farsang hat eine besondere Leidenschaft: Er sammelt Stadien. Rastlos is der 25jährige zu den Fußballarenen der Welt unterwegs. In diesem Jahr hat er 100 Spiele in 300 Tagen „gemacht“.  ■ Von
Christoph Biermann

Inzwischen bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob es Ansichtskarten oder Krankenberichte sind, die da Woche für Woche in meinem Briefkasten landen. Oder vielleicht sind es auch Fragmente einer Odyssee, die noch zu schreiben wäre. Jedenfalls kommen Carlo Farsangs Karten immer von Fußballspielen, mal „nur“ aus Holland oder der Schweiz, mal aus Armenien oder Albanien.

Seit mehr als fünf Jahren ist der 25jährige aus dem schwarzwäldischen Schönwald zu den Stadien der Welt unterwgs. Auf allen fünf Kontinenten, in gut 60 Ländern hat er bereits Spiele gesehen. In Korea hat es leider nicht geklappt, „da ist wegen Schnee das Spiel ausgefallen“. Durch Westafrika ist er mit dem Rad gefahren. An der Grenze von Guinea ist er von einem Zöllner mit gezogener Pistole zurückgeschickt worden. Und in Costa Rica haben ihn die Profis des Hamburger SV in ihrem Trainingslager zum Essen eingeladen. Die Spiele des HSV sind für ihn Pflicht: „Fahrten vom Schwarzwald nach Hamburg, das ist für mich, wie wenn andere mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof zu ihrer Wohnung fahren.“

Carlo Farsang ist „Groundhopper“, er sammelt Stadien. Eigentlich wollte er als erster Fußballfan ins „Buch der Rekorde“, weil er in allen europäischen Ländern Erstliga- oder Länderspiele gesehen hat. Als ihm nur noch fünf Länder fehlten, hat er seine Ziele höhergeschraubt. Er will jetzt in möglichst vielen Ländern Spiele in allen Erstligastadien gesehen haben. Italien, Polen, Tschechien und Belgien sind bereits erledigt.

Der Weg ist das Spiel. „Ohne den Weg, ohne die Strapazen wäre das beste Spiel nur halb so interessant. Aber umgekehrt gilt genauso: Nur die Reise, ohne den Fußball, wäre auch nichts wert“, sagt er.

Carlo Farsang ist ein Genie, was Organisation und Logistik betrifft, denn er bestreitet seine Reisen fast ohne Geld. In der kleinen Metallfirma, wo er arbeitet, verdient er nicht viel, kann aber problemlos unbezahlten Urlaub nehmen. Dafür kennt er alle Tricks und Schliche der Bahntarife und weiß, zu welchem Bahnhof man in Budapest muß, wenn man weiter nach Bukarest will. Er finanziert seine Trips mal mit Souvenirverkauf oder Handel mit zollfreien Zigaretten. Er fährt per Anhalter oder schwarz. Und immer wieder expediert er schrottreife Autos in den Osten, wo er sie als rollende Ersatzteillager verkauft.

Als die deutsche Nationalmannschaft in Albanien spielte, fädelte er das Dreiecksgeschäft mit einem ehemaligen Armeegeneral ein, der eine Tankstelle besaß. Carlo quartierte ein Dutzend deutscher Fußballfans in dessen Wohnung ein (zum Schrecken der Generalsgattin) und kassierte dafür die Übernachtungsgebühr. Der General erhielt im Gegenzug den VW Golf, mit dem Carlo es von Schönwald via Serbien und Mazedonien bis nach Tirana geschafft hatte. Zurück ist er über Laibach geflogen, es gibt da eine ganz billige Verbindung.

Aber warum macht er das alles? Er spricht von der „Sammelleidenschaft“, sagt, daß es „eine Sucht“ geworden ist. Aber was soll man auf so eine Frage auch antworten? Vielleicht macht Carlo auch deshalb weiter, weil er bei den Groundhoppern der König ist. Oder vielleicht hört er irgendwann einfach auf, weil ihm seine Ansichtskarten selber etwas merkwürdig vorkommen.