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Die taz will durchs Raster fallen

Um Verbrecher zu jagen, überwacht der Bundesnachrichtendienst flächendeckend auch Telefonate von Journalisten. Die taz hat nun dagegen Verfassungsbeschwerde eingereicht  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) – Es ist ein Rätsel, ein verflixtes noch dazu. Täglich und nach Bedarf werden in der Mainzer Zentrale des ZDF die Funktelefone ausgegeben. Anspruch auf eine feste Rufnummer hat keines der Redaktionsmitglieder – und dennoch, die Mitarbeiter des Wiesbadener Bundeskriminalamtes (BKA) wußten scheinbar ganz genau, wann welche Handyanschlüsse abgehört werden mußten.

Es war der schwerwiegendste Eingriff in die Pressefreiheit im jetzt abgelaufenen Jahr. Mitarbeiter des BKA ließen die Funktelefone der ZDF-Redaktion „frontal“ überwachen – in der Hoffnung, die Journalisten würden den glücklosen Fahndern den Weg zum abgetauchten Frankfurter Baulöwen Jürgen Schneider weisen.

Redakteure ohne ihr Wissen zum verlängerten Arm der Fahndung zu machen ist an sich schon ein Skandal. Der ZDF-Fall wirft aber zudem die Frage auf: Woher nur hatten die BKA-Mitarbeiter jeweils die richtigen Handynummern, wo die doch täglich und ohne erkennbares System wechselten? Johannes Eisenberg, Anwalt der taz, glaubt das Rätsel gelöst zu haben. Das Stichwort heißt „verdachtslose fernmeldetechnische Rasterfahndung“. Gemeint ist damit die umfassende Auswertung der internationalen Fernmeldeverbindungen durch den Bundesnachrichtendienst in Pullach bei München.

Als der Bundestag im Herbst vergangenen Jahres das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ verabschiedete, legalisierte er rückwirkend ein Verfahren, das die Geheimdienstler bereits seit Jahren praktizieren. Einem elektronischen Kescher gleich richtet der BND seine Antennen in den internationalen Fernmeldeäther aus. Mit hochwertigen Computern und ausgefeilter Software hält der Dienst in den weltumspannenden Fernmeldenetzen Ausschau nach Informationen über den internationalen Terrorismus, den Drogenhandel oder auch die illegalen Weitergabe von Atomwaffentechnologien.

Mit großem technischem Aufwand werden dazu die Fernmeldeverbindungen auf bestimmte Suchbegriffe, sogenannte „Hit-Wörter“, hin durchforstet. Wird die Anlage fündig, dann zeichnet sie das Telefongespräch, das Telefax oder die E-Mail automatisch auf. Die Aufzeichnung wird anschließend zur Begutachtung und weiteren Bearbeitung an BND-Auswerter weitergereicht. Täglich werden so mehrere hunderttausend Gespräche aufgezeichnet, rund 4.000 davon wandern zur weiteren Auswertung.

Im Fall der ZDF-Redaktion „frontal“ telefonierten die Journalisten häufig mit den Schneider- Anwälten, unter anderem in der Schweiz. Da dürfte schon das ein oder andere „Hit-Wort“ die Anlage in Gang gesetzt haben.

Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurde nicht nur eine alte Praxis legalisiert. Neu hinzu kam, daß der ursprünglich nur für das Ausland zuständige Dienst erstmals auch Kommunikationsverbindungen vom Ausland in die Bundesrepublik und umgekehrt überwachen durfte. Weiterhin wurden die Lauscher in Pullach im großen Stil ermächtigt, eigene Erkenntnisse auch an die Strafverfolgungsbehörden im Inland weiterzugeben.

Gegen diese gesetzlichen Regelungen hat jetzt Rechtsanwalt Eisenberg für die taz als Ganzes und für den in Italien lebenden taz- Korrespondenten Werner Raith im besonderen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht.

Die Zeitung, so hat Eisenberg in seinem Schriftsatz an das höchste Gericht festgehalten, unterhalte in zahlreichen Ländern und Regionen Korrespondentenstellen. Schwerpunkte ihrer Berichterstattung seien unter anderem die Bereiche Korruption, internationaler Waffenhandel und Terrorismus. Und weil Redaktion und Korrespondenten per Telefon oder Fax miteinander kommunizieren müssen, geraten sie zwangsläufig in die „verdachtslose fernmeldetechnische Rasterfahndung“. Nahezu jede „Fernkommunikation der Journalisten und Informanten wird die Suchbegriffe und Suchbegriffskombinationen berühren und damit die Überwachung auslösen“. Folge wird sein, argumentiert der Jurist, „daß Auskunftspersonen Auskünfte fernmündlich verweigern“. Recherchen, etwa zum Plutoniumschmuggel des BND, „werden von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil – gleichsam wie im Märchen vom Hasen und dem Igel – der BND-Igel stets zeitgleich mit den Beschwerdeführern [der taz und Raith; d.Red] informiert ist über deren Aktivitäten und sich entsprechend einrichten kann“. Das Gericht solle daher feststellen, daß diese gesetzlichen Regelungen weder mit dem Grundgesetz noch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht oder der Pressefreiheit vereinbar und damit „nichtig“ sind.

Vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe dürfte die Beschwerde der taz zusammen mit einer ähnlichen von Michael Köhler, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Hamburger Universität, verhandelt werden. Als Experte für Drogenkriminalität und -handel hat Köhler auch zahlreiche internationale Kontakte. Da er deshalb mit der Aufzeichnung und Auswertung seiner Telefonate rechnen muß, zog er vors Oberste Gericht. Im Juli erzielte er einen Teilerfolg: Bis zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der Gesetze, die nicht vor Mitte 1996 zu erwarten ist, wurde dem BND für die beinahe schrankenlose Weitergabe von Informationen an die Strafverfolger ein Riegel vorgeschoben. Die Karlsruher Richter ordneten an, eine Weitergabe sei nur zulässig, wenn „konkrete Verdachtsmomente“ für eine Straftat vorlägen. An der Lauschpraxis des BND ändert dies freilich erst einmal nichts – wenn nicht das Verfassungsgericht einschreitet.

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