: CompuServe zensiert mit dem Beil
Nicht nur pornographische Mailboxen werden verbannt – Diskussionsforen über Kindesmißhandlung und Online-Treffs von Schwulen und Lesben gehen ebenfalls vom privaten Netz ■ Aus Berlin Niklaus Hablützel
Die Selbstzensur des Online- Dienstes CompuServe droht zum Bumerang zu werden. Am 27. Dezember gab die deutsche Niederlassung des US-amerikanischen Unternehmens bekannt, sie habe für ihre Kunden den Zugang zu etwa 200 sogenannten Newsgroups gesperrt, weil sie nach Auffassung der Münchener Staatsanwaltschaft illegales, pornographisches Material enthielten. Seither reißen die Proteste nicht mehr ab. CompuServe, einer der ältesten und angesehensten Online-Dienste, ist dabei, seinen Ruf zu verspielen.
Kunden von CompuServe hatten im Internet ein eigenes, von den Managern des Online-Dienstes nicht kontrollierbares Forum eingerichtet. Bisher beschäftigten sich die Beiträge hauptsächlich mit technischen Fragen. Seit dem 27. Dezember dürfte „alt.oNline-service.Compuserve“, so der Name, eines der am häufigsten aufgerufenenen Internetforen sein. Die Zahl der Beiträge wächst stündlich an, schon werden die ersten Boykottaufrufe verfaßt, und immer mehr CompuServe-Kunden in aller Welt erklären, daß sie ihren Vertrag so schnell wie möglich kündigen wollen.
Die Stimmen, die anfangs noch für Verständnis warben, werden immer seltener. Sie haben einen schweren Stand, denn CompuServe hat mit einem Handstreich nicht nur den Zugang zu solchen Newsgroups gesperrt, die seit langem für offensichtlich kriminelles Material, etwa für Kinderpornographie, bekannt sind. Der Selbstzensur fiel praktisch alles zum Opfer, was irgendwie mit Sexualität zu tun hat, unter anderem auch sämtliche Foren von Schwulen und Lesben, die alles andere als Pornographie verbreiten. Meist geht es um Kontakte, Milieukultur oder schlicht um Lebenshilfe, wie schon die Titel verraten.
Deutsche CompuServe-Kunden dürfen zum Beispiel nicht einmal mehr bei „gay.Net.Haushalt“ um Rat fragen, auch die Gruppe „gay.Net.Behinderte“ fällt unter das Verbot, ebenso „soc.Support.Youth.Gay-lesbian-bi“, ein Forum, das sich um die Opfer sexueller Diskriminierung kümmert. CompuServe versichert, die gesperrten Gruppen seien von der Münchner Staatsanwaltschaft ausgewählt worden, der Online- Dienst habe darauf keinen Einfluß gehabt. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte allerdings am Freitag abend, man habe keinerlei Druck ausgeübt. Schon zuvor hatte im Internet niemand so recht an die Opferrolle des Datenhändlers glauben mögen, der versichert, möglichst eng mit den deutschen Behörden zusammenarbeiten zu wollen. Nach der Erklärung des Staatsanwaltes stand fest, daß CompuServe selbst reinen Tisch gemacht hatte. Tatächlich ist nur schwer vorstellbar, wie Diskussionsgruppen mit dem Titel „alt.Sex.Religion“ oder „alt.Politics.Sex“ in den Verdacht der Pornographie geraten könnten. Beide beschäftigen sich mit dem genauen Gegenteil, nämlich mit der Rolle der Sexualität in verschiedenen Religionen wie auch verschiedenen politischen Systemen.
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