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Entschuldigt hat sich kein einziger

■ 1952 geriet der amerikanische Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Carl Foreman, Jahrgang 1914, auf McCarthys schwarze Liste. Er ging nach England ins Exil und kehrte erst 1975 in die USA zurück. Sein

Mein Vater neckte uns manchmal, mit einer Spur von Wehmut in der Stimme, als „meine englischen Kinder“ – so als sei er selbst nach mehr als 20 Jahren Exil noch erstaunt über diese englische Familie, dieses englische Leben. Es war der unerwartete zweite Schlag einer persönlichen Katastrophe, die mit seinem Namen auf der schwarzen Liste von Hollywood begonnen hatte. Daß es nun meine Schwester und mich gab und wir mit einem fremden Akzent plapperten, erinnerte ihn jeden Tag daran, daß sein Leben und seine Karriere durch die Inquisition von Hollywood einen totalen Bruch erlitten hatte. Wir erinnerten ihn an den Preis, den er für seine Weigerung, andere anzuschwärzen, hatte zahlen müssen.

Nach allem, was man hört, war er in seinem neuen Leben in London am Ende glücklicher als je zuvor. 1957 durchbrach er schließlich den Boykott gegen sich und ging 1964 eine zweite Ehe ein. Dennoch war dicht unter der Oberfläche immer Bitterkeit und Wut. Ich glaube, daß das auch der Grund war, warum er erst nach dem endgültigen Zusammenbruch der britischen Filmindustrie 1975 wieder in die USA zurückkehrte.

Am Anfang seiner Zeit in England war seine Wut so überwältigend, daß er, obwohl er auf keinen Fall den Märtyrer spielen wollte, das gesamte erste Jahr keine einzige Zeile zu Papier bringen konnte. Wann immer er sich an die Schreibmaschine setzte, kam nichts anderes dabei heraus als ein empörter Brief an die New York Times.

Nachdem wir dann schließlich wieder nach Amerika zurückzogen waren, war es gar nicht so einfach zu vermeiden, all den Informanten zu begegnen, die aktiv dafür gesorgt hatten, daß andere auf die schwarze Liste kamen. Sie waren alle noch da, und einige von ihnen, zum Beispiel Ronald Reagan, bestritten kaltblütig, daß die schwarze Liste je existiert hatte. Hollywood hat sich diesem Teil seiner Geschichte nie gestellt. Und keiner von denen, die verantwortlich waren für die sinnlose Demütigung von Leuten, die nie in ihrem Leben Verrat oder Sabotage im Sinn gehabt hatten; dafür, daß Hunderte rituell ihre Freunde und Kollegen verrieten; für die Zerstörung so vieler Karrieren; für die Kollaboration mit einem Kongreßausschuß, der aus zynischer Publicitysucht die Verfassung mit Füßen trat – keiner von ihnen hat sich je entschuldigt.

Verstehen ja, vergeben nein

Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Vater im Aufzug eines Bürogebäudes in Los Angeles stand; ich war etwa zehn Jahre alt. Ein Mann mittleren Alters kam hinzu, streckte, als er meinen Vater sah, die Hand aus und sagte: „Hello, Carl!“ Mein Vater antwortete nicht. Statt dessen packte er mich hart an der Schulter und schob mich vor sich her aus dem Aufzug, sein Gesicht war weiß vor Wut. Ich hatte meinen eher freundlichen Vater noch nie so unhöflich gesehen und fragte ihn, warum er den Mann nicht zurückgegrüßt hätte. Er erklärte mir, daß dieser Typ einer von mehreren gewesen war, der ihn beim Ausschuß für unamerikanische Umtriebe (HUAC) angeschwärzt hatte. Den Namen des Mannes sagte er mir nicht. Ich verstand damals noch nicht, warum er nicht trotzdem wenigstens hatte zurückgrüßen können. Schließlich war das alles doch schon so lange her.

Im Laufe der Zeit begriff ich, daß seine Erfahrung mit der schwarzen Liste sein Gefühl, daß Erfolg oder zumindest Sicherheit jeder Art eine höchst zerbrechliche Sache sei, noch verstärkt hatte. Er unterhielt Bankkonten mit kleineren Beträgen in fünf oder sechs Ländern, als warte er nur darauf, daß wieder alles zusammenbrechen würde. Und er bestand kategorisch darauf, daß seine Kinder einen anderen Beruf ergreifen sollten als er.

Ich denke, daß dies alles der Grund dafür war, warum wir mit einem so starken, nahezu übertriebenen Gefühl für Loyalität aufwuchsen. Ich erinnere mich gut an meine Überraschtheit, daß er die eiserne Regel meiner Internatsschule, daß man unter gar keinen Umständen petzen durfte, total akzeptierte. Seine Verachtung für Spitzel war grenzenlos.

Während er einige der Leute, die ihn und noch ein paar andere verraten hatten, noch verstehen, wenn ihnen auch nicht vergeben konnte, gab es doch einige Fälle, die über jedes Verständnis hinausgingen. 1951, als „High Noon“ produziert wurde, versuchte sein bester Freund und Partner der Firma, die sie zusammen gegründet hatten, ihn rauszuschmeißen, nachdem er gehört hatte, daß mein Vater vom Ausschuß für unamerikanische Umtriebe vorgeladen worden war.

Trotz allem stolz auf amerikanische Ideale

Einen Einblick in seine daraus resultierenden Gefühle zum Thema Verrat gewann ich als Teenager, als ich das berühmte Zitat von E. M. Forster las: „Wenn ich vor der Wahl stünde, entweder mein Vaterland oder meinen Freund zu verraten, so hoffe ich, daß ich den Mut hätte, mein Vaterland zu verraten.“ Ich hielt das damals für einen wunderbar hochfliegenden Gedanken und sagte das auch meinem Vater. Weil ich wußte, was ihm passiert war und wie er über Informanten dachte, hatte ich im Traum nicht mit seiner Reaktion gerechnet. Er schrie mich an, das sei widerlicher, selbstbesoffener Quatsch. Denk doch mal, sagte er, was das bedeutet. Seine Landsleute, Millionen vertrauensvoller Fremder zu verraten, das war für ihn ein monströser Gedanke.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer noch nicht verstanden, wieviel ihm sein Land tatsächlich bedeutete. Und obwohl ich wußte, daß er nie daran gedacht hatte, die amerikanische Staatsbürgerschaft aufzugeben, hatte ich seine tiefsitzende Verachtung für Spitzel doch falsch interpretiert. Sein Widerstand gegen den Verrat vor dem HUAC war nicht nur eine Frage von Freundschaft und Kollegialität, sondern eine Prinzipiensache für ihn gewesen.

Als ich auf die Welt kam, hatte er natürlich das Land, in dem er leben und arbeiten konnte und man ihm mit Respekt begegnete, inzwischen lieben gelernt. Ihm war die Ironie der Situation sehr bewußt: Ein Amerikaner geht um seiner persönlichen Freiheit willen nach England, überquert auf einem Schiff namens „Liberté“ den Atlantik, bekommt bei einem Freundschaftsspiel der amerikanischen Militärfußballmannschaft im Wembley-Stadion von einem demokratischen Staatssekretär bei einer Ausweiskontrolle am 4. Juli (!) 1953 den Paß abgenommen und erhält nur informell Asyl – und das ausgerechnet von einem konservativen britischen Innenministerium. Trotzdem war er, wie die meisten – wenn auch nicht alle – Amerikaner, die während der Wirtschaftskrise oder im Zweiten Weltkrieg eine kommunistische Phase hatten, an erster Stelle Amerikaner. Trotz allem, was man ihm und anderen angetan hatte, trotz all der verhaßten Kriege, die Amerika anzettelte, um korrupte und brutale Diktaturen im Sattel zu halten, war mein Vater stolz auf die amerikanischen Ideale.

Nicht ein guter Grund für die „Säuberungen“

In seiner Abwesenheit hatte Hollywood sich verändert, obwohl es noch immer keineswegs für Ehrlichkeit, Mut und selbstkritische Reflexion stand. Viele der Strukturen, die dem HUAC die Arbeit so einfach gemacht hatten, existierten noch immer. Hollywood war so provinziell und abgeschnitten von allen politischen Realitäten wie immer, während seine Glitzerwelt weiterhin publicityhungrige Politiker anlockte, die sich mit ihrer billigen Kritik daran beim Wahlvolk einzuschmeicheln versuchten. Hollywoods Liberalität ging noch immer nicht sehr tief, und mancher halbgare Radikalismus wurde lautstark von solchen Leuten vertreten, die sich angesichts ihrer gewaltigen Gewinne ein paar Schuldgefühle leisten konnten. Und es existierte ein ekliger, dumpfer Superpatriotismus, der nach dem Feind im Innern suchte.

In manchen Kreisen ist es inzwischen wieder schick, sich über die Opfer der schwarzen Liste lustig zu machen, als ob die Tatsache, daß es keine amerikanischen Gulags gab (Senator McCarrens Gefangenenlager wurden nie zur Aufnahme von „subversives“ benutzt), aus dieser grotesken Hexenjagd eine Banalität machte. Oder als hätten die Berufs- und Ausreiseverbote für so viele Künstler nicht den politischen Stil des Feindes imitiert. Selbst wenn man zugibt – und das muß man wohl –, daß sich die Kommunistische Partei Amerikas Stalin vollkommen unterworfen hatte, kann man die Säuberungen der fünfziger Jahre nicht anders bewerten als einen Verrat an der Verfassung. Es ist nicht leicht einzusehen, welchen Zweck es gehabt haben sollte, jedem, der einmal eine Petition gegen das Lynchen von Schwarzen unterschrieben hatte oder die Spanische Republik unterstützte, die Arbeit wegzunehmen.

Und es ist schon ganz und gar unmöglich, irgendeinen guten Grund für die Säuberung der Filmindustrie zu finden. Zwar mögen einige Filme der vierziger und fünfziger Jahre implizit Großunternehmerfiguren kritisiert oder mit dem kleinen Mann sympathisiert haben – aber selbst dem HUAC war es unmöglich, mehr als eine Handvoll Filme mit einer „unamerikanischen“ oder gar kommunistischen Botschaft auszumachen.

Erst im September 1984 – nach einer langen Kampagne des Historikers John D. Weaver – wurde meinem Vater die Ehre zuteil, von der Motion-Picture-Academy als Autor des mit dem Oscar ausgezeichneten Drehbuchs für die „Brücke am Kwai“ erwähnt zu werden. Da war er aber schon tot und seine Asche auf dem Weg nach England. Bis heute versuche ich, die Ironie daran zu verstehen.

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