: Immer schön an der Grenze
■ An den Filmen von John Waters bissen sich die amerikanischen Zensurbehörden die Zähne aus: Sie fanden einfach keine Gesetze gegen seine absurden Tabubrüche. Ein Gespräch mit dem Regisseur über Grauzonen und werbe
Waren „Pink Flamingos“, „Female Trouble“ und Ihre anderen frühen Filme gezielte Provokationen für die Zensurbehörden?
John Waters: Nein, der einzige Grund für die Filme war, mich und meine Freunde zum Lachen zu bringen. In „Pink Flamingos“ habe ich mich natürlich über political correctness lustig macht. Zwar gab es diesen Begriff damals noch gar nicht, aber Anfang der Siebziger war noch all dies Peace-and-Love- Zeug aus den Sechzigern in den Köpfen. Einen Film für Hippies zu machen, der so locker mit Gewalt umgeht, war natürlich politisch absolut inkorrekt. Ich wollte all diesen Liberalen vorführen, daß ihre scheinbar grenzenlose Toleranz eben doch Grenzen hat. Ich bin ja selbst ein Liberaler, auch mein Publikum ist eher linksliberal. Mich interessiert, mit Witz und Idiotie diese Grauzone auszuloten, wo der Spaß für die meisten aufhört.
Sie wollten also Empörung?
Ich wollte, daß jeder, der aus dem Film rauskam, einfach drüber reden mußte. Und das hat eigentlich schon der Schluß garantiert. Ob man nun sagte: „Das ist der schlimmste Film“ oder „Das ist der beste Film“ oder „Toll!“ oder „Ekelhaft!“ – egal! Keiner jedenfalls kam raus und meinte: „Na ja, nicht schlecht.“ Diese Reaktion war unmöglich! Sogar 1995 werden Skinheads noch wütend! Es funktioniert immer noch!
Haben Sie je daran gedacht, den Film der Motion Picture Association of America [Filmbewertungs- und -freigabestelle; Anm. d.Red.] vorzulegen?
Machen Sie Witze? Warum sollte ich 200 Dollar aus dem Fenster werfen? Aber um ehrlich zu sein, hatte ich immer die Idee, den Film mal den Sittenaposteln der katholischen Kirche, der „Legion of Decency“, vorzuspielen. Haha!
Mit welchen Zensurbehörden hatten Sie dann tatsächlich Ärger?
„Pink Flamingos“ ging ja in die normalen Kinos und brauchte deshalb eine Lizenz. In Baltimore, Maryland – einem der wenigen Staaten, die überhaupt eine Zensurbehörde haben – saßen ganz gräßliche Leute. Die Chefin war eine ziemlich beschränkte Frau, die im Fernsehen so Sachen sagte wie: „Sie können mir über Sex nichts Neues sagen. Ich war mit einem Italiener verheiratet!“ Sie war nicht gerade eine Intellektuelle. Sie sah sich also „Pink Flamingos“ an – und verlangte nur zwei Schnitte: die künstliche Befruchtung, die wirklich die ekelhafteste Szene im ganzen Film ist, und den Oralsex. Das Scheiße-Essen ließ sie drin: Da gab's kein Gesetz dagegen. Sie konnte einfach keins finden... Na ja, wer will schließlich auch Scheiße fressen?
Aber das war genau der Grund, warum die Szene drin ist. Die beste Besprechung kriegten wir im New York Magazine. Die meinten, wir seien eindeutig „jenseits von Pornographie“, denn wer in aller Welt wollte wohl jemanden Scheiße fressen sehen? Bis zum heutigen Tag wissen die Videoläden nicht, in welche Kategorie sie „Pink Flamingos“ einordnen sollen. X-rated [Pornographie; d.Red.] ist er nicht: Fürs Wichsen bringt er's einfach nicht. Lustig, es gab schlichtweg keine Gesetze, und die Zensoren wußten nicht, was sie machen sollten; ein ganz neues Problem. Irgendwie war das genau der Witz des ganzen Films: sich über die Definition der Grenzen lustig zu machen.
Nach dem Erfolg von „Pink Flamingos“ wurde auch „Multiple Maniacs“ plötzlich in normalen, nicht nur in Studenten- und Kellerkinos gezeigt. Also mußte diese Zensorin sich wieder so etwas angucken – und als sie zu der Szene mit dem Rosenkranzsex kam..., na ja! Zum Schluß sagte sie: „90 Minuten Beleidigung für die Augen – aber nicht ungesetzlich!“ Denn es gab auch keine Gesetze gegen Sex mit Rosenkränzen. Sehen Sie, mir geht es nicht um den üblichen Sex- und Gewaltkram, gegen den sich die Gesetze richten. Mir geht's um absurde Albernheiten.
Und was ist mit dem Blow-job in „Pink Flamingos“? Das ist doch ziemlich pornographisch.
Rückblickend hat diese Szene heute fast was Verrücktes. Man muß sich erinnern, daß diese Lutschgeschichte 1972 eine bestimmte Porno-Schickeria verarschte. „Deep Throat“ war gerade angelaufen, harte Pornographie erstmals aus dem Untergrund in normale Kinos gekommen. Paare gingen zusammen Pornos gucken, das war damals richtig schick. Heute interessiert das keinen mehr, aber damals besprach selbst Variety Pornos. Und darum ging es: Ich wollte diese Pornoschickeria verarschen.
„Deep Throat“ kam in New York wegen Obszönität vor Gericht. „Pink Flamingos“ auch?
Natürlich wurde „Pink Flamingos“ in Amerika mehrfach für obszön erklärt, kürzlich gerade in Orlando. Als der Streifen in Hicksville auf Long Island anlief, fanden wir raus, daß ein Schuldbekenntnis plus 5.000 Dollar Strafe noch am billigsten war. Natürlich ist der Film obszön, aber auf lustige Art, und das ist gesetzlich schwer festzustellen. Wenn man solche Filme morgens um zehn im Gericht einer Jury vorführen muß, die so was noch nie gesehen hat... das ist wirklich erschreckend. Sie sehen die Bilder völlig außerhalb jedes Kontexts. Das Kinopublikum weiß, was ihm blüht: Es geht in den Film, um zu lachen oder sich aufzuregen. Aber für so eine Jury ist das ziemlich herb, die wissen ja nicht, ob sie einen Einbruch oder sonstwas vorgeführt kriegen, und dann kommt „Pink Flamingos“. Ein höchst absurdes Erlebnis in einem Gerichtssaal. Da krieg' selbst ich eine Gänsehaut.
Und was ist passiert?
Bob Shaye, der Direktor von New Picture Line, und ich mußten 5.000 Dollar zahlen und ein Papier unterschreiben, auf dem stand, daß wir in den Knast kommen, sollten wir je versuchen, diesen Film nochmals in Long Island zu zeigen. Damals hatte gerade das Museum of Modern Art eine Kopie für seine permanente Sammlung gekauft. Aber das hat die Jury nicht weiter beeindruckt.
Die einzige Szene, die ich ziemlich unerträglich finde, ist die Szene mit dem Huhn; nicht weil sie obszön ist, sondern weil da einem Tier wirklich Gewalt angetan wird. Ich erinnere mich, daß in dem englischen Kino, in dem ich den Film sah, bei dieser Szene die Hälfte der Leute rausging.
Ja, das stimmt, die Szene mit dem Huhn nimmt die meisten Leute ziemlich mit, obwohl ich eigentlich nicht verstehe, wieso. Schließlich haben wir das Huhn anschließend gegessen. Gekauft haben wir es in einem Laden, da stand am Schaufenster „Frisch geschlachtete Hühner“. Was ganz Normales: Man ging rein, kriegte ein Huhn, schlachtete es und aß es auf. Mit unserem Huhn war es nun so: Wir schlachteten es, es wurde gefickt, kam in einen Film – und wurde dann gegessen. Es ging ihm besser als den meisten anderen Hühnern. Also, wenn wir es nicht gegessen hätten, hätten Sie vom Aspekt des Tierschutzes her vielleicht recht. Aber da wir das Huhn am selben Abend noch gegessen haben – wir haben es gegrillt, es gab während der Dreharbeiten nie was Vernünftiges zu essen –, ist das in keiner Hinsicht moralisch angreifbar. Natürlich war das Ganze als Witz über Tabus gedacht. Ich habe diese abgefahrene Szene reingepackt, weil keiner so was macht. Sie ist ein Witz über sexuelle Perversion und die Tatsache, daß eigentlich jede Art von Sex, wenn man drüber nachdenkt, ziemlich bekloppt aussieht. Für mich war das Verrückte an dieser Szene immer der Voyeurismus, mit dem man zuguckt, wie das Huhn gefickt wird. Das finde ich viel kränker, als ein Huhn zu ficken.
Genau das erklärt ja wohl, warum so viele Leute bei dieser Szene rausgegangen sind. Denen ging es nicht anders.
Na ja, kann sein. Aber ich habe eigentlich immer angenommen, daß sich da die Hippies und Linken echauffieren: „Also so was, man hat ein Tier getötet!“ Und dabei haben sie, bevor sie ins Kino marschiert sind, wahrscheinlich gerade ein Chickensandwich verspeist. Diese Art von Doppelmoral erstaunt mich immer wieder, diese Art von Liberalismus, der alles toleriert – bis einen etwas selbst betrifft. Ich bin ja selbst liberal, und ich kenne Leute, die essen kein Fleisch, aber nehmen Drogen wie verrückt. Tut mir leid, damit habe ich meine Schwierigkeiten! Wenn man mir also vorwirft: „Wie konnten Sie für einen Film ein Huhn umbringen?!“, sage ich eben, daß wir das Huhn gegessen haben, genau wie alle Leute im wirklichen Leben Huhn essen. Wer das nicht verstehen will, den finde ich albern, und ich verstehe ihn nicht.
Aber das Ganze ist ja 25 Jahre her, und ich bin mir ziemlich sicher, daß ich das damals, als ich es geschrieben habe, nicht so gedacht habe. Aber über Tabus habe ich nachgedacht, darüber, was ein Tabu eigentlich ist. Seltsam, ich unterrichte auch im Gefängnis und habe einmal „Pink Flamingos“ einer Klasse mit Mördern gezeigt. Bei der Szene, in der Divine Scheiße ißt, standen plötzlich alle Schwarzen auf und rannten raus und kamen auch nicht wieder; die Weißen blieben. Warum, weiß ich auch nicht. Aber offenbar polarisiert der Film Mörder – je nach ihrer Hautfarbe!
Was ist Ihrer Meinung nach die Aufgabe von Zensoren, die sich mit solchen Filmen befassen müssen?
Ich bin absolut gegen Zensur. Hauptsächlich, weil sie dem zensierten Film ohnehin nur nutzt. Die Zensurbehörden waren immer schon meine besten Presseagenten. Sobald sie einen unserer Filme zu stoppen versuchten, waren die Kinos ausverkauft. Sobald etwas von Verbot oder Konfiszieren in der Zeitung stand, konnten die Leute gar nicht schnell genug in die Kinos kommen. Im Showbusineß ist das allgemein bekannt. Wenn man etwas wirklich vom Fenster weghaben will, ist die beste Methode, es totzuschweigen. Also, ich bin vollkommen gegen Zensur.
Gilt das für jede Art von Film?
Lassen Sie mich nachdenken. Bin ich gegen Zensur auch in bezug auf Snuff-Movies [brutale (Porno)Filme, in denen es wirklich Tote gibt; Anm. d. Red.]? Ehrlich gestanden, glaube ich nicht, daß es sie wirklich gibt. Aber ich erinnere mich gut, daß ich, als soviel davon geredet wurde, mehrere konspirative Anrufe von ganz normalen Journalisten kriegte, die mich baten: „John, du mußt mir unbedingt so ein Snuff-Movie besorgen.“ Ich habe dann immer gesagt: „Wie kommst du auf mich? Du lieber Himmel, ich hab' keine Ahnung, wo man so was herkriegt!“ – Wissen Sie, ich hasse echte Gewalt. Irgendwelche Fans schicken mir ständig Videos, wie das von dem Nachrichtensprecher, der sich vor laufender Kamera umgebracht hat. So was schau ich mir nicht an. Da zensiere ich mich selbst. Aber mit gespielter Gewalt hab' ich überhaupt kein Problem. Meine Filme waren Verarschungen der echten Wichsvorlagen – für Kunstkinos. Das ist was ziemlich anderes. „Pink Flamingos“ funktioniert nicht in einem Porno-Kino, weil er zu ironisch ist. Das normale Pornopublikum hat darauf keine Lust.
In England sind Ihre frühen Filme nur in geschnittenen Versionen zu haben. Es kommt mir aber viel absurder vor, „Pink Flamingos“ zu schneiden statt ganz zu verbieten.
Ja, das stimmt. Als funktionierte „Pulp Fiction“ ohne Gewalt. Was ist dann der Witz? Das nimmt dem Film die ganze Schockwirkung, und genau dafür ist er gedreht. Aber Zensoren gehen wohl immer davon aus, daß die Leute ein bißchen blöde sind, daß sie nicht selber entscheiden können, ob sie abschalten oder aus einem Film rausgehen wollen.
Haben Sie selbst je etwas gesehen, das lieber nicht gezeigt werden sollte?
Klar, die meisten Filme! „Forrest Gump“ ganz besonders. Du liebe Zeit, als das Ding im ganzen Land zum Hit wurde, hätte ich am liebsten alle Leute um mich herum erstochen. Ich verabscheue diesen Film und hätte ihn liebend gern auch für die, die neben, vor und hinter mir saßen, irgendwie ruiniert, weil ich spürte, daß sie ihn liebten.
Aber Sie meinten wohl eher aus moralischen Gründen... Na ja, es gibt da diesen Film „Clean Shaven“ von Lodge Kerrigan. Den fand ich unglaublich gut, er hat aber einige Stellen, die schwer auszuhalten waren. Ich bin trotzdem froh, daß ich ihn gesehen habe. Ich gehe gern ins Kino, um etwas auszuhalten und gequält zu werden. Auch einige Szenen in „Natural Born Killers“ fand ich ziemlich quälend. Hier wird Mord zum ersten Mal sexy dargestellt – und das ist für Amerika, glaube ich, ein ziemlich fürchterlicher Gedanke. Aber ich bin absolut dafür, daß das einer in seinem Film zeigt. Also nein, ich habe noch nie etwas gesehen, wovon ich dachte: Das sollte zensiert werden.
Sie wissen, daß „Natural Born Killers“ in England einige Monate tatsächlich verboten war und daß man darüber diskutierte, ob der Film alle Zuschauer zu Massenmördern machen würde?
Das ist lächerlich. Aber wissen Sie, für mich ist beängstigend, daß Ihre Zensoren so viel klüger sind als unsere. Wir sind an unsere Idioten gewöhnt, aber intelligente Zensoren sind wirklich zum Angstkriegen.
In welcher Hinsicht sind englische Zensoren intelligenter?
Sie sagen zum Beispiel nicht solche Sachen wie: „Erzählen Sie mir nichts über Sex. Ich war zwei Jahre mit einem Italiener verheiratet.“ Aber im Ernst: Sie sind immer so „fair“ oder tun jedenfalls so, als seien sie es. Sie sind eher Intellektuelle oder zumindest sehr gebildet. In Amerika sind Zensoren totale Idioten, die auf ihre Idiotie stolz sind. Deshalb hat man es auch so leicht mit ihnen.
Gibt es noch andere Unterschiede zwischen Europa und den USA?
Bei euch in Europa ist es schwerer, Witze über Gewalt zu machen. Und ich glaube, das liegt daran, daß ihr weniger Gewalt habt; in den USA ist Gewalt etwas ganz Alltägliches. Und weil das so scheußlich ist, machen wir ständig Witze darüber. Bei euch braucht man keine Angst davor zu haben, daß man auf der Straße einfach so erschossen wird. Wir müssen uns mit dieser Angst ernsthaft rumschlagen, deshalb machen wir Witze darüber. Und dieser Humor ist wahrscheinlich schwer zu übersetzen.
Aber wir haben doch auch Slapstick-Komödien und ziemlich brutale Witze. Und „The Quick and the Dead“ von Sam Raimis finden auch wie hier ziemlich witzig.
Ja, schon. Aber als ich zur Jury in Cannes gehörte, haben viele auf diesen Film ganz empört reagiert. Ein Jury-Mitglied sagte: „Wie kann einer aus Ihrem Land, das so viele Probleme mit Waffen hat, so einen Film machen?“ Die Frage fand ich wirklich erstaunlich. Ich habe denen das gleiche gesagt: daß wir Witze machen, eben weil wir so an Gewalt gewöhnt sind. Aber sie meinten, das sei eine schrecklich ernste Sache, gerade so, als würde jeder schwarze Jugendliche sofort losrennen und sich eine Knarre besorgen, wenn sie den Film ins Programm nehmen. Meiner Ansicht nach zeigt das den kulturellen Unterschied sehr gut.
Was würden Sie den Zensoren in aller Welt gern sagen?
Ihr seid die besten Presseagenten für Leute wie mich, deren Filme ihr eigentlich aller Welt gern vorenthalten wollt. Bitte redet euch weiter den Mund über mich fußlig. Ich wollte, ich könnte religiöse Fanatiker mieten, die vor den Kinos demonstrieren, in denen meine Filme laufen. Das bringt mir gleich die nächste Monatsmiete. Als ich mich mit diesen Zensoren herumschlagen mußte, machte mich das für alle interessanter. Schließlich will keiner auf der Seite der Zensoren sein, oder? Ich hab' noch keinen getroffen. Ich sage Ihnen, was die alle meiner Meinung nach wirklich sagen wollen: daß ein Kind, das einen Horrorfilm sieht, dadurch „zum Mord angestiftet“ wird. Aber es ist doch wohl eher so, daß die Eltern was versäumt haben, längst bevor das Kind den Film gesehen hat. Es ist nicht der Film. Guck nicht den Film an, guck dich selbst an und ob du deinen Kindern vielleicht nicht gut genug beigebracht hast, wovor man aus guten Gründen Angst haben sollte. Ich finde es absurd und gefährlich, das anders zu sehen, und bekämpfe es. Ich finde, daß ein Kind, das mit acht Jahren in eine Bibliothek darf, sich auch jedes Buch aus dieser Bibliothek ausleihen dürfen sollte. Wenn so ein Gör intelligent genug war, von „Naked Lunch“ zu hören, dann ist es auch intelligent genug, es zu lesen.
Empfinden Sie Genugtuung darüber, daß Sie, den man als „Meister des Drecks“ titulierte, jetzt ein anerkannter Filmemacher sind, den man in die Jury nach Cannes einlädt?
Nein, und zwar weil ich nie verbittert war. Sowohl die Presse als auch andere Filmemacher waren von Anfang an sehr anständig. Meine Filme haben die Leute polarisiert, aber das war damals Teil eines Kulturkriegs – den es heute leider nicht mehr gibt. Es ist nämlich so, daß in solchen Zeiten die beste Kunst, die besten Filme, die beste Musik gemacht wird, weil es etwas gibt, worum man kämpfen muß. Die meisten Filmemacher, die mir in den Jahren so über den Weg gelaufen sind, brachten mir viel Sympathie entgegen. Schließlich konkurrierten wir auch nicht direkt miteinander... Außerdem glaube ich, daß die meisten Regisseure ihre Kollegen respektieren, solange sie etwas Eigenes haben, in das sie dich reinziehen können – selbst wenn man dort oft gar nicht gerne hin will. Ich habe also nie gedacht, daß andere Regisseure mich nicht leiden können.
Und wenn Sie die ganze Wahrheit wissen wollen: Die Kritiker, die mich mit Haß überschüttet haben, waren die richtigen, also die, von denen man eigentlich auch nur gehaßt werden will. Rex Reed haben wir beispielsweise immer für unsere Publicity benutzt. Bis heute hat er seinen Privatkrieg gegen meine Filme laufen. Wir warten auf die Kritiken wie die Kinder auf den Weihnachtsmann – und dann schreien wir vor Lachen. Als „Serial Mom“ rauskam, schrieb er: „Traurig für Kathleen Turner, daß sie mit jemandem wie John Waters arbeiten muß.“ Und „Hairspray“ fand er ekelhaft. Ich bitte Sie! Aber seine berühmteste Kritik war die über „Female Trouble“, die haben wir anschließend aufs Werbeplakat gesetzt, und bis zum heutigen Tag hängt das in meinem Büro an der Wand. Er schrieb: „Woher kommen diese Menschen? Wohin gehen sie, wenn die Sonne untergegangen ist? Gibt es kein Gesetz oder ein anderes Mittel gegen sie?“ Das half mehr als alle guten Besprechungen. Inzwischen benutzen wir auch solche von „guten“ Kritikern, die im wesentlichen nur ihre Sprachlosigkeit breitgetreten haben. Auch die haben geholfen.
Sie sagen, daß sich die Zeiten geändert haben, es keinen Kulturkampf mehr gibt. Glauben Sie, daß derzeit überhaupt noch irgend etwas provozieren kann?
Na ja, „Pulp Fiction“ hat über 100 Millionen Dollar eingespielt und ist in den USA der meistverkaufte Videofilm aller Zeiten. Ich finde schon, daß der ziemlich an der Grenze ist, und das müßte den jungen Filmemachern doch weltweit Hoffnung machen ...
Ich fand auch „Serial Mom“ ziemlich an der Grenze.
Ich auch, und glauben Sie mir, ich hatte reichlich Ärger mit den Studios, bevor ich den Film so auf Zelluloid kriegte, wie ich ihn haben wollte. Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es ist, irgend etwas an Hollywood vorbei zu machen. Jeder muß den „Marketing- Test“ bestehen. Stellen Sie sich vor, die wollten Kathleen Turner doch am Ende verurteilt sehen und was weiß ich noch alles.
Gibt es zur Zeit jemanden, der das zu tun versucht, was Sie Anfang der Siebziger versucht haben?
Ich glaube nicht, aber es gibt natürlich junge Filmemacher, die unheimlich gute Sachen machen. Wie gesagt, „Clean Shaven“ ist ganz phantastisch; Todd Haynes „Safe“ war kaum zum Aushalten, einfach toll; mir gefällt auch Gus Van Sants neuer Film „To Die For“. Und ich mag einen neuen französischen Film, „Ich kann nicht schlafen“ von Claire Denise; der handelt von zwei schwulen Massenmördern, die alte Frauen umbringen. Dann dieser englische Film, „Das Handbuch des jungen Giftmischers“ – einer der besten Filme, die ich seit langem gesehen habe! Mit einem Humor, wie ich ihn liebe. Der ganze Witz ist, daß man, wenn man über die Mutter lacht, die da langsam vergiftet wird, sich gleichzeitig vor sich selbst gruselt und Schuldgefühle kriegt.
Was erwartet uns in Ihrem neuen Film „Cecil B Demented“?
Mitte Dezember mußte ich das Skript abgeben. Ich bin abergläubisch genug, noch nicht über den Film reden zu wollen. Schließlich weiß ich noch nicht einmal, ob man mich ihn machen lassen wird. Das Drehbuch ist ziemlich an der Grenze. Es geht dabei um einen jungen verrückten Regisseur, so eine Art Teenager-Terroristen gegen das Filmgeschäft, der einen echten Hollywood-Star kidnappt und zwingt, in einem Untergrundfilm mitzumachen.
Was würden Sie machen, wenn einer 25 Millionen Dollar auf den Tisch packt und sagt: „Okay, John, du machst ,Pink Flamingos‘ noch mal, aber diesmal mit Geld, guter Kamera, gutaussehenden Stars, aber alles soll genauso sein wie damals ...“?
Wie – daß zum Beispiel Meg Ryan Scheiße frißt?
Genau. Glauben Sie, daß er die gleichen Zensurprobleme hätte wie der alte „Pink Flamingos“?
Hmm. Nein, vielleicht nicht... kommt darauf an. Sie meinen, er sollte genauso plastisch sein?
Genauso, nur teurer.
Also, ich glaube, ich würde wieder Probleme kriegen, wenn auch vielleicht nicht mehr so viele. Die primitive, sprich: schlechte Kameraführung ließ die Zuschauer ja glauben, der Film sei eine Dokumentation. Ich glaube, daß dieses Grobe und Billige dem Ganzen wahrscheinlich noch einen besonderen Kick gegeben hat. Wenn man es nämlich glatt macht, dann... ich weiß nicht, das wäre ja doch eine andere Art von Glätte. Wenn man also eine teure Version hätte, wo alles phantastisch stimmt, die Leute aber immer noch Scheiße fressen und das alles... Ich glaube, das würde immer noch ziemlich viel Ärger geben. Was ich gern machen würde, wäre eine Szene, die ich geschrieben habe und die auch veröffentlicht ist, die ich aber nicht filmen durfte: Am Ende fliegen nämlich alle auf einem Haufen Scheiße weg. Ja, das würde ich dann gern machen.
Interview: Mark Kermode
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