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Wo ist die Friedensbewegung?

Die einst mächtige Bewegung ist geschrumpft. Ihr Netzwerk organisierte früher Großdemonstrationen und steht heute vor dem Ruin  ■ Aus Bonn Bernd Neubacher

Blumenerde füllt den Stahlhelm. Ein Baum wächst heraus. „Es geht auch ohne Armee“, steht in blauen Lettern auf dem Plakat: „Ostermarsch Rheinland 1990“. Seit fünf Jahren hängt das Poster an der Tür des „Netzwerk Friedenskooperative“ im Hinterhof der Bonner Römerstraße 88. Im 100-Quadratmeter-Büro mit der billigen Miete und den schimmeligen Wänden sitzen Mani Stenner und Kristian Golla.

Früher wurden in diesem Büro Großdemonstrationen gegen Atomkraft und Nato-Doppelbeschluß organisiert, Hunderttausende trieb die Friedensbewegung auf die Straße, „heute aber herrscht ein anderes gesellschaftliches Klima“, stellt Stenner fest. Im Moment scheinen einzig ihre Gegner sie zu vermissen. Wo ist sie denn geblieben, die Friedensbewegung? fragen sie stets hämisch – ganz so, als ob das Friedensbüro daran schuld wäre, daß auf der Welt immer noch gekämpft wird.

Ein Teil der Friedensbewegung hockt zum Beispiel im bayerischen Starnberg bei München. Sie nennen sich „Friedenskomitee“, und ihr „Informationsdienst Frieden 2000“ hat die Schuldigen für den Krieg in Bosnien gefunden: die vielen Ausländer und das „multikulturelle Elend“ dort. „Wer leugnet, daß in Deutschland Bedingungen entstehen, die zu solcher Barbarei führen können“, steht dort über Einwanderung in die Bundesrepublik zu lesen, „ist ein politischer Gegner, der mit Argumenten im Interesse des Friedens und der Humanität bekämpft werden muß.“ Sprecher des Komitees ist Alfred Mechtersheimer. In den Achtzigern focht er für die Grünen im Bundestag gegen die Nachrüstung und galt als Repräsentant der Friedensbewegung. In „Frieden 2000“ nun gehen die „Junge Freiheit“ als „rechtskonservativ“ und Rainer Zitelmann als „FDP-Erneuerer“ durch. Zum Jahreswechsel erhält die Postille einen neuen Untertitel: „Nachrichten für die Deutschland- Bewegung“.

Ein anderer Teil der Friedensbewegung ist zum Beispiel im rheinischen Bonn geblieben, dort, wo sie früher nie hinwollte. Ihre Fraktion konnte sich neulich nicht entscheiden, ob sie den Militäreinsatz in Bosnien begrüßen soll – niemand hatte sie gefragt. Jetzt ziehen deutsche Soldaten wieder Richtung Balkan, und keine Bundestagsfraktion geht in die Opposition. Frieden schaffen ohne Waffen scheint eine langweilige Sache zu sein, es herrscht Ruhe im Land.

Das „Friedensforum“ steht kurz vor der Pleite

Zum Glück gibt es da Mani Stenner und Kristian Golla. Die beiden Angestellten des „Netzwerk Friedenskooperative“ sind in der Friedensbewegung geblieben. Andere schwärmen von früher, von Wackersdorf, von Gorleben und von den Großdemos im Bonner Hofgarten, aber die beiden widmen sich ausschließlich der Gegenwart: für netto 1.420 Mark im Monat.

130 Gruppen wie Pax Christi, Aktion Sühnezeichen, der Bund für soziale Verteidigung oder die Jusos gehören heute dem Netzwerk an, da gibt es einiges zu koordinieren für zwei Leute. Im Sommer vernetzten die beiden den deutschen und französischen Protest gegen die französischen Atomtests, im Moment steht eine „Friedenskampagne für Nordkurdistan (Türkei)“ auf dem Programm, und nächsten April jährt sich zum zehnten Mal der Reaktorunfall von Tschernobyl.

Aber die Geschäfte für die gute Sache laufen schlecht. Die Zeitschrift Friedensforum, die Stenner und Golla alle zwei Monate erstellen, sank mit dreitausend verbreiteten Exemplaren kürzlich unter die Grenze der Rentabilität. Und auch die Spenden der über tausend Förderer des Netzwerkes wachsen nicht gerade in den Himmel. Wenn es so weitergeht, muß das Netzwerk nächstes Jahr entweder eine Bettelkampagne starten oder dichtmachen, befürchtet Stenner. Dabei arbeite das Büro mittlerweile „praktischer und professioneller“ als früher.

So können inzwischen alte Weggefährten auf Formularen eigens ankreuzen, ob ihr Geld gegen Out- of-area-Einsätze, gegen Rassismus und Fremdenhaß, gegen Atomtests oder anderes verwandt werden soll.

Die wirklichen Erfolge der Friedensarbeit sieht man in der Lokalpolitik. Im Juni 1995 brachten die beiden Friedensbewegten ein nicht alltägliches Bündnis zuwege aus Antifa, SPD und anderen, um die internationale Militaria-Messe COPEX in der Bad Godesberger Stadthalle schließlich zu verhindern. Kurz zuvor hatte Stenner gemeinsam mit einem Bonner Polizeioberrat die weithin beachtete Initiative „Bonner Forum Bürger und Polizei“ ins Leben gerufen. Sie bemüht sich um einen Dialog über alle Barrikaden hinweg.

Eine Demo in Bonn stört Milošević nicht

Und wo war nun die Friedensbewegung, als in Bosnien der Krieg begann? „Unsere Aktivitäten spielten sich hauptsächlich im Ausland ab“, entgegnet Stenner. „Milošević stört es doch nicht, wenn Hunderttausende in Bonn auf der Hofgartenwiese stehen.“

Er hat eine Broschüre verfaßt, in der die unterschiedlichen Aktivitäten nachzulesen sind. Stenner berichtet über die europäische „Friedenskarawane“, die im September 1991 durch Slowenien, Kroatien, die Wojwodina, Serbien und Bosnien-Herzegowina führte und auf der viele Kontakte geknüpft wurden.

Er berichtet auch über das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, das alleine über fünf Millionen Mark für humanitär-medizinische Hilfe und Unterstützung der Friedensarbeit vor Ort gesammelt hat.

Und die 1992 gegründete Initiative „Den Krieg überleben“ hat inzwischen über 5.000 bedrohten Menschen vorwiegend aus den serbisch besetzten Gebieten Bosnien- Herzegowinas die Flucht ermöglicht“. Zur Betreuung von Deserteuren hat sich das europäische Netzwerk „Connection“ gegründet. Zunächst über eine Faxbrücke und mittlerweile über ein ausgebautes System von Mailboxen wird die Kommunikation von Menschenrechts- und Antikriegsgruppen zwischen Zagreb, Belgrad, Sarajevo, Skopje und Ljubljana untereinander und mit Solidaritätsgruppen weltweit sichergestellt.

Krieg als unterlassene Hilfeleistung

„Ein Symbol für den Widerstand gegen Verfeindung und Krieg“ ist auch die „Geistige Republik Zitzer“ in der nordserbischen Wojwodina geworden. Ein ganzes Dorf verweigert dort den Kriegsdienst. Und das Hilfsnetzwerk „Nexus“ verteilt große Mengen an Medikamenten und anderen Hilfsgütern in Kroatien und den zugänglichen Teilen Bosniens. 202 solcher Hilfsprojekte allein in der Bundesrepublik können Stenner und Golla aufzählen.

Aber solche Friedensarbeit stößt nicht überall auf Anerkennung. „Ineffektiv“ und eine „Verschwendung von Energie“, heißt es etwa über die Friedenskarawane. Das Urteil stammt nicht aus dem Bundeskanzleramt, sondern aus einem offenen Brief von Friedensaktivisten im ehemaligen Jugoslawien an ihre Freunde in Westeuropa: Deren Pazifismus sei angesichts des Krieges in Bosnien „empörend“.

In Essen mußten letzten Monat die Delegierten der katholischen Friedensgruppe Pax Christi ihren Vorstand zurückpfeifen: der hatte militärische Intervention im Kriege gerechtfertigt, „wenn – wie im Fall von Srebrenica und Žepa – Menschen in unerträglichem Maß schutzlos der Gewalt von Aggressoren ausgeliefert sind“.

„Jetzt, nach dem Kalten Krieg, haben alle das Gefühl, sie könnten Konflikte beenden“, sagt Mani Stenner. „Kriege werden uns dann als unterlassene Hilfeleistung präsentiert. Und wir sind beim Versuch gescheitert, hierzulande die zivilen Eingreifmöglichkeiten in Bosnien in die Diskussion zu bringen“. Das Bundesverteidigungsministerium gibt im Jahr ungefähr 12 Millionen Mark allein dafür aus, um die Bundeswehr als „die eigentliche Friedensbewegung“ zu verkaufen. Das Netzwerk aber verfüge nur über einen Jahresetat von rund 250.000 Mark.

Ginge es nach der Friedensbewegung, wäre der Krieg im ehemaligen Jugoslawien verhindert worden, bevor er hätte beginnen können. Radiosender der Vereinten Nationen hatten nationalistischer Propaganda entgegengewirkt, kein Tropfen Öl wäre Kroatien und Serbien verkauft worden, erdölexportierende Staaten hätten eine entsprechende Entschädigung erhalten, kein Schuß hätte fallen müssen. Aber es geht nicht nach der Friedensbewegung.

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