Berlins Beamte sollen von VW lernen

■ SPD will Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst durch Arbeitszeitverkürzung retten. DAG sieht Vorreiterrolle

Berlin (taz) – Die bundesdeutsche Hauptstadt schickt sich an, eine Vorreiterrolle bei der Reform des öffentlichen Dienstes zu spielen. Um Entlassungen bei den 174.000 Beamten und Angestellten in der Verwaltung, der Polizei, der Feuerwehr und in den Schulen zu vermeiden, drängt die SPD auf eine grundsätzliche Verringerung der Arbeitszeit um ein Zehntel – ohne Lohnausgleich.

SPD-Fraktionschef Klaus Böger führte gestern nachmittag mit den drei Gewerkschaften ÖTV, DAG und GEW deshalb erstmals Gespräche. Unter anderem schlug Böger den Gewerkschaftsspitzen vor, die in größerem Maßstab zuerst bei dem Wolfsburger Volkswagenwerk eingeführte Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich in Berlins öffentlichem Dienst einzuführen.

Hintergrund des unpopulären Vorschlags ist die dramatische Haushaltslage der Hauptstadt. Bis 1999 droht nach Angaben von Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) ein Defizit von 43 Milliarden Mark. Berlin ist aber bereits mit 50 Milliarden Mark bei über 100 Banken verschuldet. Der Schuldenberg dürfe bis 1999 die Grenze von 70 Milliarden Mark nicht überschreiten, will Berlin die Zinsen aus eigener Kraft zahlen, errechnete Pieroths Verwaltung.

Zur Zeit gibt Berlin jede vierte Mark seiner jährlich 40 Milliarden auf Pump aus. Allein 15 Milliarden Mark kosten das Land seine öffentlichen Bediensteten. Um Pieroths Sparvorgaben zu erfüllen, müßte mit 41.000 Stellen jede vierte von Berlin finanzierte Stelle gestrichen werden, heißt es in einem internen SPD-Papier – neben zahlreichen anderen Sparmaßnahmen außerhalb der Verwaltung.

Bei den Gewerkschaftsführern trifft der Vorschlag, berlinweit das „VW-Modell“ einzuführen, auf unterschiedliche Reaktionen. Der Berliner Landesvorsitzende der DAG, Hartmut Friedrich, sagte vor der Gesprächsrunde auf Anfrage: „Grundsätzlich ist die Idee richtig, wenn damit der Abbau von Arbeitsplätzen verhindert werden kann.“ Berlin könnte bei der Strukturreform des öffentlichen Dienstes bundesweit sogar eine Vorreiterrolle übernehmen. Nach den Abgeordnetenhauswahlen im Oktober letzten Jahres sei bei den Koalitionsfraktionen in Berlin die Sensibilität größer als andernorts im Bundesgebiet.

Der DAG-Chef betonte, daß untere Einkommensgruppen auf Wunsch von der Arbeitszeitverkürzung ausgenommen werden müssen. Dennoch hält auch er eine durchschnittliche Verkürzung um ein Zehntel der Arbeitsstunden für realistisch. Bislang befinde sich Berlin bei der Teilzeitarbeit im Bundesvergleich am unteren Ende. Die DAG vertritt die Interessen von 20.000 Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst.

Der stellvertretende ÖTV-Chef Uwe Scharf zeigte sich reservierter. Er halte auf Basis freiwilliger Teilzeitangebote ebenfalls eine Reduzierung der Arbeitszeit um ein Zehntel für realistisch. Nach dem Gespräch mit SPD-Fraktionschef Böger kündigte er aber gleichzeitig „schärfsten Widerstand“ gegen die Änderung von Tarifverträgen und gesetzlichen Vereinbarungen an. 80.000 der 130.000 Berliner ÖTV-Mitglieder stehen in Landesdiensten. Dirk Wildt