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Der Traum ist aus

■ Nach 16 Jahren haben sich Slime aufgelöst / Sänger Dirk Jora ist „desillusioniert“

Auf den Barrikaden wird es einsam. Die Hafenstraße ist zu einer repressionsfreien Riesen-WG mit Elbblick befriedet worden, die feuergeschädigten Rotfloristen sind vornehmlich mit Aufräumarbeiten beschäftigt – nun haben sich auch noch Slime aufgelöst. Nach 16 Jahren und etlichen Protest-Hymnen wie „Bullenschweine“ oder „Deutschland muß sterben, damit wir leben können“ ist Schluß – „definitiv“, sagt Dirk Dicken Jora, Sänger der Hamburger Punk-Veteranen. Der taz erklärte der 35jährige („Wir haben den Soundtrack zu den Demos geliefert“), warum die ehemalige Schülerband des Langenhorner Heidberg-Gymnasiums nicht mehr weitermachen wird.

taz:Weshalb hört ihr gerade jetzt auf, wo das Punk-Revival mit Bands wie Green Day oder Offspring auf vollen Touren läuft?

Dirk Jora: Kommerziell ist das Harakiri, was wir tun. Von unseren neun LPs hat sich die letzte, Schweineherbst, am besten verkauft (30 000 Stück; die Red.). Wir hatten aber das Gefühl, daß alles, was wir danach machen würden, nur noch schlechter sein könnte. Wir wollten uns nicht wiederholen. Irgendwann muß Schluß sein, sonst wird das eine endlose Geschichte. Von 1985 bis 1990 hatten wir uns ja schon einmal aufgelöst.

Da wart ihr bereits in Ungnade gefallen.

Aus der linken Szene, der wir ja selbst entstammen, kamen damals heftige Kommerzvorwürfe. Wir wurden als Verräter an der Bewegung beschimpft. Ich finde, Geld ist an sich wertfrei, es kommt darauf an, was man damit macht. Wir haben immer darauf geachtet, daß die Eintrittspreise okay waren. Es gab sogar eine Art Quotenregelung für Solikonzerte. Für die Hafenstraße haben wir etliche Male gespielt. Dennoch haben uns einige nicht verziehen.

Wie ist es nach der Reunion gewesen?

Nach der Geschichte mit dem Heiter Bis Wolkig-Boykott (die autonome Szene hatte dazu aufgerufen, Auftritte der mittlerweile in Härter Bis Wolkig umbenannten Band zu verhindern; die Red.) kamen noch mehr Anfeindungen. Wir fanden die Art und Weise, wie mit HBW umgegangen wurde, zum Kotzen und wollten mit diesen Mechanismen nichts zu tun haben. Daraufhin waren auch wir Vergewaltiger und Sexisten. So was tut weh, und ich bin auch desillusioniert, gerade von der Szene der Über-Korrekten. Viele alte Freunde reden seitdem nicht mehr mit uns.

Ist der Split eure Form der Abrechnung mit denen?

So habe ich das noch gar nicht gesehen. Mir ist das Verhalten vieler Linker einfach zu stalinistisch, zu sehr an Parolen orientiert, die längst überholt sind. Das ist so sektenhaft geworden, so leicht durchschaubar. Das ist nicht mehr meine Art von Freiheit, für die wir uns den Arsch aufgerissen haben. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Das wollen viele Leute aber nicht begreifen. Wir haben uns schon weiter entwickelt. Du kannst nicht ewig „Nazis raus, Bullen raus oder wer auch immer raus“ rufen. Das hat nichts mit Verweichlichung oder einer FDPisierung zu tun.

Warum eigentlich nicht etwas eingängiger?

Vielleicht hätten wir schon ab und zu etwas lockerer sein sollen. Aber wir wollten uns nicht noch mehr anpassen, in Richtung Tote Hosen, auch wenn wir dann von der Musik ganz gut hätten leben können.

Verhungern wirst du aber auch ohne Slime nicht.

Ich habe gerade mein Soziologie-Studium beendet und hoffe, demnächst mit einem eigenen Forschungsprojekt anfangen zu können.

Fragen: Clemens Gerlach

Zum Abschied ist eine CD Live Große Freiheit 36 – 3.6.94 erschienen (SLIME Tontraeger/Indigo).

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