: Beide Positionen sind moralisch gleichwertig
■ betr.: „Hundertprozentige Ver weigerung“ etc., „Pech gehabt! Wir sind in der Nato“, taz vom 22. 12. 95
Der Einsatz von Soldaten aus einem Militärbündnis mit militaristischen Strukturen in einem vom Völkermord betroffenen Land ist ethisch geboten, weil durch eine postkommunistisch-faschistoide, jedenfalls nationalistische (Armee-)Führung vorsätzliche Massaker ausgeübt wurden. Mit pazifistischen Mitteln wurde der Massenmord vor unser aller Augen nicht gestoppt. Tatsachen – unbestreitbar.
Nun ergab sich ein klassisches Dilemma für uns Grüne, das wir wegen deutscher und sozialdemokratischer Unfähigkeit stellvertretend diskutierten. Zwei ethisch gleichwertige Positionen standen zur Wahl: 1. pazifistisch weiter zu warten und damit der Gewaltfreiheit treu zu bleiben, die als Prinzip individuellen und (sofern beeinflußbar) staatlichen Handelns unstrittig bleibt – eine europäische Friedensbewegung gab es nicht, während Europa in Sarajevo starb. Oder 2. militärisch international einzugreifen – eine UNO-Streitmacht als Schutzpolizei forderten bereits Weihnachten 1992 Friedensgruppen aus Bosnien, Kroatien, Serbien – und damit durch Gegengewalt die ursprünglich (1987) serbische, dann kroatische und inzwischen auch bosnische Aggression militärisch zu stoppen, um einen politischen Frieden zu ermöglichen (Hinweis auf historische Militär- oder Guerillabeispiele wie Auschwitz, Salvador...). Beide Positionen sind moralisch gleichwertig, denn wer die Kinder im Nachbarzimmer des europäischen Hauses vorsätzlich ermorden läßt, handelt nicht nur im Sinne der unterlassenen Hilfeleistung inhuman. Dieses Ethik-Dilemma gilt auch dann, wenn man damit in heuchlerische Gesellschaft von Herrn Rühe gerät und den Aufrüstungsblock Nato legitimiert, der beim Wirtschaftsembargo versagt hat und durch Rüstungsexporte für zahllose Kriege ursächlich verantwortlich ist.
Zu fordern wäre von Joschka u. a., daß sie wie die sogenannten Linken das Thema nicht zur Profilierung ihrer oligarchischen Politik mißbrauchen, sondern den Zusammenhang mit dem Nato-Militarismus (Analogie Kurdistan/ Irak), den Rüstungsexporten (sogar Minen) und der strukturellen Militarisierung der Außenpolitik durch die Großmächte (plus BRD) deutlich anprangern. Ich fände angesichts der real existierenden Welt und des skizzierten Dilemmas eine grüne Urabstimmung zur Frage angemessen, wie der unausweichliche Konflikt pazifistische Problemlösungen contra universelle Menschenrechte zu entscheiden ist: eine „Entscheidungsanweisung“ ohne imperatives Mandat. Hans Graef, Bretzfeld
[...] Man kann mit Waffengewalt zwar Völker niederwerfen und unterdrücken, aber das Zusammenleben mit Waffengewalt zu organisieren, das geht nicht. Wo und wann ist das jemals gelungen? Aber es paßt nicht in den von den politisch Verantwortlichen geforderten „Zeitgeist“, auf diesen Widerspruch zwischen Wollen und Können hinzuweisen. Also wird über die Druck- und Fernsehmedien des Volkes Meinung „gebildet“ und behauptet, daß nur mit Waffengewalt die Ordnung wiederhergestellt werden kann (noch vor Monaten hörten wir, von den gleichen Medien verbreitet, das genaue Gegenteil). Und wir Deutschen müßten, weil wir wieder wer sind und die größeren Aufgaben des geeinten Deutschland es erforderten, mit deutschen Soldaten in Natotreue mitmarschieren. [...]
Siegertypen mit „Sex-Appeal“ braucht die Menschheit jetzt. Der schwerbewaffnete Megakämpfer ist für das Fernsehpublikum gefragt, ein richtiger Mann, der von Männern wie Frauen bewundert wird. James-Bond-Typen will das Volk sehen, die dem Guten über das Böse zum Sieg verhelfen. So verbreiten es die Medien.
Man könnte sich als Bürger dieses Landes einfach zurücklehnen und den ersten deutschen Bundespräsidenten zitieren, der einmal sagte: „Nun siegt mal schön.“ Aber so einfach ist das nicht, schon gar nicht in Bosnien-Herzegowina.
Bei näherem Hinsehen erkennt man nur ein undurchschaubares Konglomerat aus Tätern und Opfern. Die unterschiedlichen Bevökerungsgruppen haben allesamt Führer, die man aus der Sicht eines Mitteleuropäers in die Kategorie Gangster und Geiselnehmer einordnen muß. Da kann auch kein James-Bond-Typ mal schnell hinfahren und „aufräumen“. Da sind andere Qualitäten für eine dauerhafte Friedensstiftung gefragt.
Wer könnte diese Qualitäten mitbringen? Es kommen nur die nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) in Frage, die eine Antwort geben könnten. Sie haben bereits weltweit Erfahrung bei schwierigsten Missionen gesammelt. Sie waren und sind auch im ehemaligen Jugoslawien aktiv und haben Kontakte zu Friedensgruppen in Belgrad, Sarajevo, Zagreb und anderswo. Warum hat man sie nicht, als der Streit im ehemaligen Jugoslawien vor der Eskalation stand, in die Diskussion um eine Konfliktlösung eingeschaltet? Warum hat man ihnen nicht mehr Rechte und Möglichkeiten frühzeitig eingeräumt? Statt dessen wird ihre Arbeit, dem „Zeitgeist“ folgend, der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten.
[...] Was soll für Friedensgruppen jetzt gelten? Weiter unbeirrt die in Belgrad, Sarajevo, Zagreb und anderswo existierenden Friedensgruppen unterstützen. Nur so kann es zu einem Abbau von Angst und Haß kommen. Unterstützung von Deserteuren gleich welcher Couleur. Unterstützung der NGOs, die der Zivilbevölkerung helfen. Und geduldig dafür streiten, daß friedliches Zusammenleben auf Dauer nur auf friedlichem Wege gestiftet werden kann. Richard Uhrig, München
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