: Bitte nicht bi oder verheiratet
„Huch, wie ist das passiert?“ Eine Lesbe verliebt sich in einen Mann. Eine Hetera verliebt sich in eine Frau. Das soll's nicht geben ■ Von Dagmar Schediwy
Ursprünglich war die fünfundzwanzigjährige Ina Rink nach in der westdeutschen Provinz erfolgreich absolviertem Coming-out und zwei Frauenbeziehungen nach Berlin gekommen, „um hier die Frau meines Lebens zu finden“. Schon nach kurzem war sie voll in die Szene eingetaucht: lesbisch- schwules Umfeld, eine neue Frauenbeziehung und politisches Engagement in einer Gruppe, die zu 90 Prozent aus Lesben bestand. „Ich hab' da völlig lesbisch gelebt. Da war auch nicht die Spur eines Gedankens, mit einem Mann zusammenzusein.“ Bis sie eben jener berühmte Blitz aus heiterem Himmel traf und sie den Mann kennenlernte, mit dem sie heute in einer monogamen Zweierbeziehung zusammenlebt. Ganz unerwartet kam für Ina Rink diese Liebe allerdings nicht. Schon als Jugendliche fand sie Männer und Frauen erotisch. Der Feminismus gab für sie schließlich den Ausschlag, ihr eigenes Geschlecht zu favorisieren. Am Ende stand für sie der bewußte Entschluß: Ich will nur noch mit Frauen leben.
Als diese vermeintlich sichere Identität wieder ins Wanken kam, hatte weniger Ina Rink als ihre Umwelt Probleme: „Huch, wie ist denn das passiert?“ oder „Wie kannst du nur?“ waren noch die harmloseren Reaktionen.
Besonders starke Abwehr provozierte ihr „Rückfall in die Heterosexualität“ in ihrer politischen Frauengruppe: „Da tobte ein Konflikt zwischen Lesben und Heteras, und als Bisexuelle war ich für die lesbischen Frauen nun wieder auf der Seite der Heteras. Ich habe mich zwischen allen Fronten gefühlt.“
Manche Frauen, die sie selbst zuvor beim Coming-out unterstützt hatten, bezeichneten sie nun als Verräterin, und selbst gute Freundinnen gingen auf Distanz: „Es hat sehr lange gedauert, bis sie begriffen haben, daß es weiter mein Anliegen ist, daß Homosexuelle nicht diskriminiert werden und ich jetzt nicht auf Kleinfamilie, Ehe und Gartenhäuschen schwöre.“ Besonders schwer zu verdauen fand sie die Vorurteile, die sie teilweise früher selbst gehegt hatte: „Da kommen immer die gleichen Sachen: daß Bisexuelle beziehungsunfähig sind, daß sie sich nicht entscheiden können, daß sie Angst vor ihrer Homosexualität haben... Alles Quatsch!“ sagt Ina Rink. „Ich entscheide mich für einen Menschen und bin nicht so festgelegt, ob dieser Mensch weiblich oder männlich ist.“
Ähnlich wie Ina Rink fühlte sich auch Beate Menzel schon früh zu beiden Geschlechtern hingezogen. Anders als diese lebt die einunddreißigjährige Erzieherin jedoch schon seit dreizehn Jahren mit demselben Mann zusammen. Nach fünf Jahren ausschließlicher Heterosexualität hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, etwas zu vermissen. Sie antwortete deshalb auf Inserate von Frauen und gab auch selber ohne großen Erfolg Kontaktanzeigen auf. Schließlich ging sie in die Läden und Bars der Frauenszene. Dort wurde sie mit dem Drei-Stufen- Modell der korrekten lesbischen Entwicklung konfrontiert, bei dem nach einem heterosexuellen Ausgangsstadium über eine bisexuelle Zwischenphase schließlich die „richtige Lesbe“ entsteht. Wenn sie ihre Bisexualität ansprach oder gar ihren Freund erwähnte, verloren die meisten Frauen sofort das Interesse. „Du bist halt noch nicht soweit!“ oder „Du mußt erst noch deinen Weg finden!“ hieß es dann, und im Nu war die Gesprächspartnerin entschwunden. Ihre erste längere Frauenbeziehung lernte sie dann doch über eine Kontaktanzeige kennen. „In den fünf Jahren unserer Bekanntschaft haben wir uns mindestens zwanzigmal getrennt und dann doch wieder zusammengefunden.“ Inzwischen kann sich Beate Menzel gut vorstellen, ganz mit einer Frau zusammenzuleben. Dem Idealbild der „richtigen Lesbe“ entspricht sie damit aber immer noch nicht. Denn nach wie vor ist sie auch für männliche Reize empfänglich. Erst im letzten Jahr hat sie sich während eines Auslandsaufenthalts in einen achtzehnjährigen Franzosen „verguckt“.
Schon vor über zwanzig Jahren stellte die jüdische Psychotherapeutin Charlotte Wolff fest, daß Menschen, deren erotische Antennen auf beide Geschlechter ausgerichtet sind, in einer Art gesellschaftlichem Niemandsland leben. „Bisexuelle Menschen werden häufig von ,normalen Bürgern‘ gemieden und von Homosexuellen verachtet“, schrieb sie in ihrem Buch „Bisexualität“. Obwohl diese Aussage noch heute Gültigkeit besitzt, ist jedoch nur in lesbischen Kontaktanzeigen der häufige Zusatz „Bitte nicht bi oder verheiratet“ zu finden. „Die Frauen haben es sehr schwer“, sagt auch Jürgen Höhn vom Bisexuellen Netzwerk. Während männliche Bisexuelle zumindest anfangs für Schwule oft etwas Prickelndes haben, würden bisexuelle Frauen von ihren lesbischen Geschlechtsgenossinnen nicht selten als „unrein“ eingestuft.
Das war nicht immer so: Als Claire Waldoff in den zwanziger Jahren ihre Hymne auf „Hannelore vom Hallschen Tore“ anstimmte, in der es in der dritten Strophe heißt: „Es hat mir einer anvertraut, sie hat 'n Bräutjam und 'ne Braut“, galt Bisexualität zumindest in den Kreisen der Künstlerbohème als schick. Stars wie Marlene Dietrich, Inge Meysel, Anais Nin oder die Dadaistin Hannah Höch unterhielten mit größter Selbstverständlichkeit Beziehungen zu beiden Geschlechtern. Bisexualität wurde als positiv für die künstlerische Produktivität angesehen, eine Auffassung, die die Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz so formulierte: „Rückblickend auf mein Leben, muß ich noch hinzufügen, daß – wenn auch die Hinneigung zum männlichen Geschlecht die vorherrschende war, ich doch wiederholt auch eine Hinneigung zu meinem eigenen Geschlecht empfunden habe, die ich meist erst später richtig zu deuten empfand. Ich glaube, daß Bisexualität für künstlerisches Tun fast notwendige Grundlage ist...“
Ein solcher Rückblick auf glorreiche Zeiten hilft freilich den heute lebenden bisexuellen Frauen nicht viel. Sie suchen nach eigenen Räumen zwischen heterosexueller Norm und den Nischen der homosexuellen Subkultur. Zwar fürchten viele von ihnen eine neue Etikettierung durch die Definition „bisexuell“. „Andererseits, so wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist, geht's halt nicht ohne Schublade, und ich habe auch den Wunsch dazuzugehören“, meint Ina Rink. Das Bedürfnis, das Niemandsland zu verlassen, ist offenbar groß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen